Es soll niemand behaupten, keiner hätte etwas gesagt. Als die ehrwürdige Hannah Horvath in Folge drei der sechsten Staffel von Girls einer Einladung des Kult-Schriftstellers Chuck Palmer folgt, ist nur die Vorfreude groß. Im persönlichen Kontakt erweist sich dieser nicht als göttliches Schreibgenie, sondern ist mehr nerviger Dauerplapperer, der Kaffee aus einer "I love Chuck"-Tasse trinkt, während er von sich in höchsten Tönen schwärmt und Hannah in Nebensätzen beleidigt. Das Girls-Girl missversteht die Situation und lässt sich auf die Auseinandersetzung ein. Irgendwie, eben.

Trailer zur dritten Folge der sechsten Staffel von "Girls".
HBO

Das Geplänkel hat ein jähes Ende, als der Romancier plötzlich vor Hannah sein Dings auspackt und damit einen ziemlich eindeutigen Wink mit dem Zaunpfahl absondert, also zu verstehen gibt, worum es ihm wirklich geht. Hannah reagiert mit "Oh my God"-Stakkato und abruptem Fluchtversuch, wird dabei an der Tür von Chucks herziger Tochter abgefangen. Am Ende sitzen die drei beisammen, das Kind spielt Flöte zu Rihannas Desperado, und die Zuschauer haben wieder einen jener Girls-Momente erlebt, in denen man nicht weiß, ob man lachen oder etwas zerschlagen möchte.

Kein Sturm im Wasserglas

Die Folge American Bitch ging im Februar "on air" – und wird es in der Art nicht mehr geben. Denn seit unter dem Hashtag #MeToo Hollywoods Filmfrauen aufstanden und Produzenten, Autoren, Regisseure und Schauspieler der Übergriffe anklagten, sind dezente Anspielungen auf Schweinereien im Kunstbetrieb überflüssig geworden. Die Tatsachen liegen auf dem Tisch.

Bild nicht mehr verfügbar.

#MeToo und die Auswirkungen eines Aufstands.
Foto: Reuters / Lucy Nicholson

Der Verlust schmerzt, müsste aber zu verkraften sein, denn wie es aussieht, bleibt es dieses Mal nicht beim Sturm im Wasserglas, den man(n) aussitzen kann, um danach einfach weiterzumachen wie bisher. Die Verhältnisse haben sich geändert, eine Rückkehr zu alten, schlechten Gewohnheiten scheint schwer vorstellbar.

Das liegt zunächst daran, dass es die ganz Großen erwischt hat und diese reihenweise abdanken mussten – ohne Rücksicht auf Verluste. Harvey Weinstein war einer der mächtigsten Hollywood-Produzenten – heute ist er ein Geächteter. Die Arbeiten zur sechsten Staffel von House of Cards waren in vollem Gange, als Kevin Spaceys Schandtaten ans Tageslicht kamen. Kurz danach war der Oscar-Preisträger und Darsteller des unwiderstehlichen US-Präsidenten Frank Underwood weg vom Fenster.

Tig Notaro unterhält mit "One Mississippi", Louis C.K. produzierte.
Series Trailer MP

Der Schauspieler, Autor, Regisseur und Emmy-Sieger Louis C. K. war in die beliebtesten Comedyshows des Landes involviert, schrieb sogar für feministische Serien wie One Mississippi und Better Things. Seit seine unmoralischen Angebote publik wurden, kann er sich die Karriere aufmalen.

Jeffrey Tambor steht unter Verdacht. Ganz raus ist er als Maura Pfefferman in der Amazon-Serie "Transparent" aber noch nicht.
Foto: Amazon

Nicht anders erging es den Anchor-Größen Matt Lauer und Charlie Rose. Zig weitere Showgrößen wurden ebenso schnell gefeuert. Einzig Amazon zaudert noch beim Hauptdarsteller seiner Flaggschiffserie Transparent. Um Jeffrey Tambor, der Kolleginnen unerwünscht zu nahe getreten sein soll, sich dessen jedoch nicht bewusst ist, wird noch gerungen.

Das schnelle Durchgreifen ist neu. Vor zehn Jahren erfand die Autorin Tarana Burke die MeToo-Bewegung – ohne dauerhaften Erfolg. Dieses Mal sorgen Hollywoods Frauen selbst für entschlossene Nachhaltigkeit: "Wir müssen es größer machen", sagt etwa Seriendarstellerin Lizzie Caplan, derzeit für die Fortsetzung von Das Boot in Deutschland vor der Kamera: "Donald Trump hat es getan, wie viele andere in Hollywood, und er ist ein verdammter Präsident. Was das heißt: Okay, mein Freund, du kannst mit sexueller Belästigung kein Schauspieler sein, aber mach dir keine Sorgen, du kannst immer noch Präsident der Vereinigten Staaten werden", sagte sie zum STANDARD: "Das darf so nicht bleiben."

Wird es auch nicht. Mehr als ein Dutzend Filmprojekte wurden entweder ganz gestrichen oder warten auf ihre Überprüfung. Weinstein und Kollegen wie Val Kilmer, Matthew Weiner, Richard Dreyfuss, Oliver Stone, Dustin Hoffman, Charlie Sheen, John Travolta und Ben Affleck sind Personae non gratae auf ewig.

Plötzlicher Personalschwund

Trotz dieses plötzlichen Personalschwunds geriet die Produktion von Filmen und Serien nicht einmal ins Stocken. Anders als 2007, als Hollywoods Drehbuchautoren das Schreiben verweigerten, muss sich die Branche keine Nachschubsorgen machen. Rund 500 Serien entstanden 2017 allein in den USA, auf einen geschassten Showrunner kommen fünfzig neue. Quotenerfolg haben kaum mehr als ein Dutzend, aber weil in Zeiten der Digitalisierung die vielen Abspielstationen Inhalte brauchen, wird nicht lange gefragt. Auf Zuschauerzahlen angesprochen, wird es bei Onlineplattformen wie Netflix und Amazon still wie auf dem Friedhof der Kuscheltiere. Wichtiger ist, dass gespielt wird und man sich darüber in sozialen Medien austauscht. Wenn es sein muss, schafft man das auch ohne große Namen.

Starbesetzte HBO-Serie "Big Little Lies", unter anderem mit Reese Whitherspoon und Nicole Kidman.
ME GUSTA CHANNEL

Das liegt auch daran, dass der Erfolg des viel zitierten "Goldenen Zeitalters des Fernsehens" natürlich zu einem Gutteil weiblicher Produktivkraft geschuldet ist. Vor dem Hintergrund scheint #MeToo besonders paradox: Während hinter den Kulissen Frauen mitunter wie Freiwild behandelt wurden, traten sie vor der Kamera als handlungsbestimmende Figuren immer stärker in den Vordergrund – 2017 in geballter Menge: Wir sahen Nicole Kidman, Reese Witherspoon, Laura Dern in Big Little Lies, und es ging um Missbrauch und Gewalt in der Ehe.

Jane Campion legte mit Staffel zwei von Top of the Lake ein kriminalistisches Stück Empowerment nach. Brit Marling lotete in The OA das Universum aus, Elisabeth Moss verstörte in Margaret Atwoods The Handmaid's Tale, und mit Alias Grace kam ein weiteres Werk der preisgekrönten Schriftstellerin zu TV-Ehren. Schauspielerinnen waren 2017 gefordert, und sie forderten mit anspruchsvoller Ware. Im Film belegen das Beispiele wie Wonder Woman, Battle of the Sexes und Girls Trip. Filme mit weiblichen Hauptdarstellern spielten 2015 mehr Geld ein als solche mit Männern, errechnete das Geena Davis Institute.

Unfreundliches Klima

Dass all das vor dem Hintergrund eines unfreundlichen Machtklimas wuchs, ist Teil eines ökonomischen Systems, in dem Frauen als relevante Zielgruppe definiert sind und durch die Branche bedient werden. Die ist in Hollywood unverändert ungleich aufgeteilt: Nur bei sieben Prozent der 250 größten Hollywood-Produktionen führten Frauen Regie, und nur 35 Prozent der Produzenten, Drehbuchautoren, Cutter oder Kameraleute sind laut Untersuchung des Center for the Study of Women in Television & Film weiblich.

Lena Waithe entwirft in "The Chi" ein Sittenbild der schwarzen Community in Chicago.
The Chi

Die Chancen, dass sich das ändert, stehen gut. 2018 sind Frauen wieder mit vielfältigen Serienangeboten präsent. Lena Waithe (Master of None) entwirft in The Chi für Showtime ein Sittenbild der schwarzen Community Chicagos. Christina Hendricks (Mad Men) überfällt in Jenna Bans Good Girls eine Bank und findet sichtlich Gefallen daran. Leslye Headland schreibt die 1980er-Komödie Heathers als Serie neu, die Working-Class-Heroine Roseanne tritt nach zwanzigjähriger Pause wieder auf den Plan.

Besessene Liebe

Von besessener Liebe erzählen Sera Gamble (The Magicians, Supernatural) und Greg Berlanti in You. Hoffnung hegen Zuschauer bei Good Girls Revolt: Amazon-Studioboss Roy Price hatte die Serie über die kämpferischen Newsweek-Journalistinnen der 1970er-Jahre ohne weitere Angabe von Gründen eingestellt. Fans drängen auf Wiederaufnahme, und weil Price aufgrund der Anschuldigungen gegen ihn gefeuert wurde, stehen die Chancen auf eine Rückkehr der Serie offenbar nicht schlecht.

Bild nicht mehr verfügbar.

Reese Whitherspoon, Jennifer Aniston und Shonda Rhimes (von links) gründeten mit rund 300 weiteren Frauen die Initiative "Time's Up".
Foto: AP

Dazu kommt, dass weibliche Führungskraft systematisch eingefordert wird, etwa von der eben gegründeten Initiative Time's Up mit mehr als 300 prominenten Mitgliedern, etwa Meryl Streep, Shonda Rhimes, Reese Whitherspoon und Jennifer Aniston.

Vor allzu großer Euphorie sei dennoch gewarnt: Vertreter aus dem Filmgeschäft versprechen wortreich, sich für mehr Geschlechtergleichheit einzusetzen. Viele dieser Vorsätze klingen ebenso gut wie unverbindlich. Fast alle frei gewordenen Spitzenpositionen wurden neu besetzt. Frauen sind wieder kaum darunter.

Ausgezahlt hat es sich für viele dennoch, und sei es allein schon wegen einer besseren Atmosphäre. Vom Dreh von House of Cards hört man, dass dort es neuerdings entspannter zugeht. Das ist doch schon etwas. (Doris Priesching, 3.1.2018)