Wartezeiten in Notaufnahmen sind zwingend bei den dringenden Patienten zu minimieren, nicht unbedingt bei allen.

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DER STANDARD hat über die ausartende Gewalt in Notfalleinrichtungen am 28. Dezember (Probleme mit aggressiven Patienten in Wiener Spitalsambulanzen) und im Einserkastl vom 29. Dezember (Randale im Spital) mehrere Gründe für die Zunahme der Übergriffe aufgeführt: Wartezeiten, Angehörige anderer Kulturen et cetera. Es gibt, wie in einem Leserposting angeführt, eine initiale Dringlichkeitseinschätzung ("Triage") in den meisten Notaufnahmen. Hier wird jedem Patienten eine maximale Wartezeit (zwischen 0 und 90 Minuten) zugewiesen, bis zu der spätestens ein Arztkontakt erfolgt sein sollte. Leider empfinden sich beinahe alle Patienten als Notfall, die eine Notfallabteilung aufsuchen. Demgemäß erwarten sie eine sofortige Begutachtung.

Neben dem hervorragenden Deeskalationstraining, über das DER STANDARD berichtet, beginnt natürlich die Vermeidung der Unzufriedenheit mit der Mitteilung (in allen gängigen Sprachen), mit welcher Wartezeit ein Patient rechnen muss. Das bekomme ich bei der Autoreparatur oder bei der Warteschlange an der Kasse zum Louvre, warum also nicht auch bei Situationen im Krankenhaus. Wer weiß, dass er nicht vergessen ist, auch wenn es länger dauert, kann noch auf die Toilette gehen, das Handyladegerät holen oder das Abholen der Kinder vom Kindergarten organisieren.

Personalaufstockung greift zu kurz

Wartezeiten in Notaufnahmen sind zwingend bei den dringenden Patienten zu minimieren, nicht unbedingt bei allen. Manche glauben, dass eine reine Aufstockung des Personals jede Wartezeit eliminieren könnte. Das greift aber zu kurz. Wenn jede Notaufnahme so schnell arbeitet, dass jeder Patient sofort dran kommt, geht niemand mehr zum Hausarzt. Die Notaufnahme füllt sich weiter, die Wartezeit geht wieder rauf. Dazu wird der Personalstand laufend erhöht, was zu einer Verdünnung der individuellen Erfahrung mit den wirklich lebensbedrohten Patienten unter dem expandierenden Personal mit sich bringt.

Es ist aber auch sinnlos, einen Patienten, der bereits in einer Notaufnahme ist, darüber zu belehren, dass er seit Wochen zum Hausarzt hätte gehen können. Allerdings ist es für ein teures Gesundheitssystem auch nicht vernünftig, wenn jeder Patient sich beliebig in eine Abklärung und Behandlung hineinreklamieren kann. Es wird auch nicht jeder Patient operiert, nur weil er es geschafft hat, in den OP-Trakt zu kommen.

Wirkliche Notfälle

Eine Notfallabteilung ist dazu da, rund um die Uhr jedem wirklichen Notfall zeitgerecht zu helfen: Herzinfarkt, starke Schmerzen (Nierenkolik, Bandscheibenvorfall), Schlaganfall, Verbrennung, Vergiftung, Unfall, Ausschluss einer bedrohlichen Situation bei typischen Symptomen, et cetera. Kämen nur solche Patienten (circa 30 bis 50 Prozent, je nach Abteilung), so wäre die Wartezeit zumeist deutlich kürzer als derzeit, wo viele Patienten mit allgemeinmedizinischen Problemen nicht den Weg zum Hausarzt (oder seiner Vertretung!) finden, keinen Termin in angemessener Frist bekommen oder zu dessen Öffnungszeiten keine Zeit haben. Somit suchen viele Patienten die Notfalleinrichtungen in Ermangelung an Alternativen auf, und nicht, um das Personal dort zu ärgern.

Es gibt zwei wesentliche Ansätze für weniger vermeidbare Gewalt an Notfalleinrichtungen:

1) attraktivere Arbeitsbedingungen an Notfallabteilungen, unter anderem: genug Dienstposten (Ärzte, Pflegekräfte, Schalterkräfte, Patiententransporteure), gute Ausbildung, dadurch größerer Zulauf an Bewerbern für die vorhandenen vakanten Dienstposten, dadurch bessere Mitarbeiter, schnelleres Arbeitstempo, kürzere Wartezeiten.

2) Zugang zu Alternativen bei der Behandlung: Öffnungszeiten der Ordinationen oder der Primärversorgungszentren an Tagesrandzeiten und Wochenenden – wenn Patienten nach der Arbeit statt während derselben zum Arzt gehen, nützt dies der Wirtschaft. Es ist zumutbar, nicht-dringende Patienten an eine Ordination weiterzuleiten, auch wenn sie sich bereits im Krankenhaus befinden.

Schwer zu verhindern ist die Gewalt durch psychisch kranke Menschen oder Betrunkene, wie im Artikel angeführt. Hier ist Deeskalation bis hin zur Selbstverteidigung das Mittel der Wahl.

Kein Türsteher des Krankenhauses

Vielfach wird eine Notfallabteilung fälschlich als Türsteher des Krankenhauses betrachtet, die nur die Aufgabe hätte, Patienten von den Stationen abzuhalten oder Fachärzte zu "entlasten". Glücklicherweise wurde in den letzten Jahren zunehmend erkannt, dass einerseits die ambulante Abklärung von nicht-bedrohten Patienten nur der Nebeneffekt so einer Abteilung ist und dass andererseits das Personal der Notfallabteilungen mehr belastet ist als das aller anderen Abteilungen und selbst entlastet werden muss.

Der große britische Notfallmediziner Peter Baskett hat es einmal so formuliert: Emergency physicians are the last true allrounders (Notfallmediziner sind die letzten wahren Allrounder). In Zeiten des immer zunehmenden Tiefgangs der einzelnen Spezialfächer mit Fokussierung auf einzelne Organe ist die Notfallmedizin der letzte Bereich mit der ganzen Breite der Medizin: alle Organe, alle Dringlichkeitstufen, alle Symptome. Eine organ- und fächerübergreifende Abklärung von diversesten Leitsymptomen (Koma, Atemnot, Brustschmerzen, Herzklopfen, Schwäche, Fieber) ist die Spezialität der Notfallmedizin. Der wahre Kern liegt aber im Namen selbst: echte Notfälle vor Schaden schützen und am Sterben hindern. Das Leitmotiv der Notfallmedizin "anyone, anything, anytime" (jeder, alles, jederzeit) verdeutlicht dies.

Den Arbeitsplatz attraktiv machen

Wer den medizinischen und wirtschaftlichen Mehrwert der Notfallabteilungen erkennt und erhalten will, sollte in die Attraktivität des Arbeitsplatzes Notfallabteilung investieren: Ausbildung (ideal: Facharzt für Notfallmedizin, spezielle Ausbildung für Pflegepersonal an Notfallabteilungen), genügend Dienstposten (alle Berufsgruppen) für Pausen, wenig Überstunden, Möglichkeit zu Fortbildungen, Ausstattung für die Akutbehandlung, optimierte Logistik (Transporte, Labor, Befunderstellung), Bereitstellung von Betten bei Notwendigkeit einer stationären Aufnahme. (Philip Eisenburger, 8.1.2018)