Per du mit dem Leser: Autor Norbert Kröll.

Foto: Ingo Pertramer

Wien – Du bist ein Flaneur, wenn du das Buch Sanfter Asphalt von Norbert Kröll liest. Du streifst für einen Tag durch Wien und lässt dein Gehirn dabei über diverse Begegnungen und Beobachtungen extemporieren. Am Ende mag sich eine Liebesgeschichte erfüllen, hauptsächlich aber machst du dir allerhand Gedanken über die Stadt und ihre Bewohner.

Willkommen in der Welt, die das Romandebüt von Norbert Kröll (geb. 1981 in Villach) seinen Lesern eröffnet, ein Buch mit Du-Erzähler. Dank dieses Kunstgriffs klingt die Erzählung ein wenig so, als würde sie vom Leiter eines Live-Rollenspiels erzählt (abgesehen davon, dass dem Leser hier keine Entscheidungen abverlangt werden). Man meint aber auch, einem Geist beim Staunen darüber zu lauschen, was der dazugehörige Körper unabhängig von ihm so alles treibt: "Dein Körper verlässt das Foyer der Bank. Er steht am Gehsteig und kann sich nicht entscheiden, in welche Richtung er sich bewegen soll."

Vor allem die Körper-Geist-Spaltung kommt in Sanfter Asphalt zum Tragen, hat unser "Protagonist" doch eine eher entzauberte Sicht auf die Dinge. Dass Gefühle "reine Physik" seien, davon ist er ebenso überzeugt wie davon, dass Religion sich nicht mit Intelligenz vereinbaren lasse.

"Sein Gesicht: ausgedrückt"

Im Zentrum steht nun aber nicht so sehr die Entwicklung einer weniger engen Weltsicht, die man dem sympathischen Flaneur aufrichtig wünschen würde, sondern eine Auffädelung launig-spitzfindiger Reflexionen über die urbane Gesellschaft. Die Arbeitswelt, Kunst und (Kunst-)Studieren werden thematisiert, es wird aber auch anhand eines Fahrkartenkontrolleurs über das Verhältnis von Pflichtgefühl und Menschlichkeit reflektiert.

Eine durchaus typische Pointe betrifft etwa den Mitarbeiter eines Esoterikgeschäfts, der, umringt von Büchern über Ausgeglichenheit, einen Wutanfall auslebt. Vom leeren Gesichtsausdruck des Mannes – "sein Gesicht: ausgedrückt" – geht es dann assoziativ weiter zur Band Nirvana, bevor "dein Körper" vor dem Eso-Shop-Grantler wieder davonläuft.

Abseits der flockig dahingesponnenen Haupterzählung (die zudem mit ungewöhnlichen Wien-Fotos gespickt ist, die der Autor selbst schoss) sind immer wieder auch innere Monologe eingeflochten. Man schlüpft hinein in eine Sandlerin in der Straßenbahn, versetzt sich vor einer Boutique in eine ältliche Bewohnerin des ersten Bezirks, die gern Handwerker vernascht, oder lauscht den Gedanken eines Kaffeehaus-Autors, der sich – was sonst? – für verkannt hält: "Wenn die nur wüssten, die Leute, dass unter ihnen, in diesem Kaffeehaus, ein Schriftsteller weilt! Ein echter!"

Comichafte Abgründe

Leider sind gerade diese Passagen, man ahnt es schon, eher eindimensional geraten. Sie werden zum Schauplatz für durchgekaute Klischees über Katholizismus, Misogynie und schwarze Pädagogik. Wenn hier am Franz-Josefs-Bahnhof ein waschechter Altnazi auftritt oder ein Vater, der seinen Sohn per Waffentraining zu einem "richtigen Mann" erziehen will, dann hält Kröll sich nicht lange mit Zwischentönen auf. "Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass jeder Satz, den du an mich richtest, mit Herr Vater beginnen muss?!"

Schmerzhaft wird die Schwarz-Weiß-Malerei, als auch noch ein Pfarrer auftaucht, der während der Beichte eines Elfjährigen masturbiert: Ja, eh sind die Probleme, die dem Helden am Herzen liegen – vor allem die grausamen, kreativitätsfeindlichen Erziehungsberechtigten -, relevant. Die comichafte, ohne viel Ambivalenz auskommende Darstellung der wienerischen "Abgründe" (dieses Wort strapaziert der Klappentext) ermüdet aber schneller, als sich kritisches Potenzial entfaltet.

Entschädigt wird, wer sich durch das Spalier aus monologisierenden Pappfiguren kämpft, mit schönen Momenten in der Haupterzählung. Die stellen sich etwa dort ein, wo "Wirklichkeit" und Wahrnehmung durcheinandergeraten. So erblickt sich der Protagonist einmal staunend als Perkussionist einer Band, die im Museumsquartier spielt. Das müsse ein Traum sein, vermutet er, und geht hin, um den Cajón-Spieler wegzuzerren: "Ha! – sagst du dir, als er sich nicht wehrt, das ist der Beweis: eindeutig ein Traum!"

Tatsächlich ruht unter Sanfter Asphalt spürbar ein schönes, philosophisches Potenzial. Schade, dass es ein wenig unter der grellen Abgründe-Abklapperei leidet. (Roman Gerold, 7.1.2018)