Christian Kern läuft langsam zur Hochform auf. Nach einem schwierigen Start glaubt der Exkanzler zusehends Angriffsflächen in den Plänen der neuen Regierung zu entdecken. Da gehen Äußerungen wie Demolierung des Sozialstaates leicht von der Zunge. Insbesondere die angeblich von Schwarz-Blau gewälzten Copy-Paste-Pläne betreffend Hartz IV werden von Kritikern torpediert. Die dem deutschen Sozialsystem attestierte Kälte macht sich im Politschaukampf besonders gut.

Sachdiskussionen sind in einem derart aufgeladenen Umfeld schwer möglich. Dabei wären sie wichtig. Die aktuellen Entspannungstendenzen am österreichischen Arbeitsmarkt können die strukturellen Schwachstellen nicht übertünchen. Vor allem die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen und hier wiederum unter älteren Personen gibt zu denken. Jüngste Zahlen zeigen, dass eine echte Erholung trotz massiver Jobzuwächse ausbleibt. Daher muss die Frage gestellt werden, ob die Anreizsysteme funktionieren.

Besonders geringe Anreize im internationalen Vergleich

Österreich weist hier zwei Besonderheiten auf: Wer länger arbeitslos ist, muss kaum Einkommenseinbußen hinnehmen. Und bei Entgelt, Qualifikation oder Erreichbarkeit einer potenziellen neuen Stelle sind Jobsuchende gut geschützt. Beide Faktoren zusammengenommen können dazu führen, dass offene Stellen nicht besetzt und gleichzeitig die Sozialkassen strapaziert werden. Hier ist nicht von der weitaus überwiegenden Zahl jener Menschen die Rede, die auch nach der hundertsten Bewerbung nicht aufgeben. Und hier wird auch nicht vorgegaukelt, dass die erwähnten Schutzmechanismen für das Gros der Arbeitsmarktprobleme verantwortlich sind.

Aber über eine Anpassung des Systems darf angesichts des hohen Einsatzes steuerlicher Mittel und der zusehends auftretenden Probleme bei der Besetzung bestimmter Arbeitsplätze nachgedacht werden. Ebenso wie über eine Abflachung der Lohnkurve, ohne dabei das Lebenseinkommen zu beeinträchtigen, oder über eine integrierte Betrachtung der Pensions- und Arbeitsmarktproblematik.

Der internationale Vergleich, vor allem jener mit skandinavischen Ländern, zeigt, dass die Anreize zur Annahme einer Stelle hierzulande besonders gering sind und u. a. deshalb die Beschäftigung Älterer sehr niedrig ist. Für Österreich gibt es also viel Potenzial zur Verbesserung des Sozialsystems, ohne dass Hartz IV gleich kopiert werden müsste. Mit Reflexen löst man allerdings keine Probleme. (Andreas Schnauder, 8.1.2018)