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Omar Little aus der HBO-Serie "The Wire". Ein tragisches Leben, das Omar trotzdem nicht aus der Hand gibt.

Foto: AP/HBO, Paul Schiraldi

Dass "The Wire" die beste Serie der Welt ist, wurde wohl schon einige Male gesagt. Trotzdem gelten derartige Urteile in Sachen TV noch immer als Auftakt zu hochemotionalen Auseinandersetzungen bei diversen sozialen Zusammenkünften, bei denen man irgendwann ins Serienthema abdriftet. Im Grunde ist aber tatsächlich schnell ausgeredet, denn zumindest im Fach Drama ist "The Wire" die beste Serie (2002–2008). Oder von mir aus eine der besten. Der völlig aussichtslose "war on drugs", an dem sich unterschiedliche Milieus abarbeiten, steht dabei im Zentrum. Vom Politiker, Medienmenschen, Obdachlosen, Junkie bis hin zum Berufskiller. Sie alle nehmen mehr oder weniger ihren sozialen Platz ein und handeln dementsprechend. Ihnen alles ist klar: Der amerikanische Traum ist nicht mehr als ein fieser Scherz.

So selbstverständlich die Sprösslinge von Akademikern mit 18 oder 19 ihre Studien aufnehmen, gehen die Antihelden der Straßen von Baltimore ihrer Bestimmung nach, die ihnen die soziale Herkunft, Rassismus oder eine verfehlte Politik aufzwingt. Letztere beschert wiederum auch der Polizei etliche Zwänge, die mit steigender Frustration und nur durch reichlich Alkoholkonsum dabei zusehen kann, wie sich Gewalt und Armut reproduzieren, während sich ihre Chefs mit gefakten Kriminalstatistiken und Alibifestnahmen im Amt halten.

Ohne Zukunft

Es sind etliche Bücher erscheinen (zum Beispiel von Daniel Eschkötter), die darlegen, warum gerade "The Wire" das scharfsinnigste popkulturelle Porträt der US-amerikanischen Gesellschaft am Ende des letzten Jahrtausends zeichnet. Idealbesetzungen gibt es in der Serie natürlich auch zahllose: Der meist obdachlose und süchtige Bubbles (Andre Royo), der trotz aussichtsloser Lebenslagen ein offener Geist bleibt und sich nicht aufgeben will.

Oder die mordlüsterne Snoop (Felicia Pearson), deren Kaltblütigkeit im unausweichlich frühen Tod gipfelt. Allein die Idee von einer Zukunft schien ihr fremd. Nur so erscheint es plausibel, dass sie emotionslos bei ihrem Mörder, der in einem riesigen SUV am Beifahrersitz darauf wartet, ihr in den Kopf zu schießen, nachfragt: Sitzen meine Haare gut? Und natürlich Kima Greggs (Sonja Sohn), die lesbische Polizistin, die die schnöde Frauenzeitschriften-Weisheit, emotionale Verklemmtheit und Bindungsangst seien ein Männerding, Lügen straft.

Schwuler Robin Hood

Doch das alles überstrahlt noch ein anderer: Omar Little. Er vereint sämtliche Drogendealerklischees in seinem Habitus um sie gleichzeitig in pompösem Stil zu dekonstruieren. Er ist Art schwuler Robin Hood, eine queere HeldInnenfigur, wie sie vielen AutorInnen zu kompliziert zu denken ist, geschweigen denn die Aufgabe, sie darzustellen. Dabei ist Omar (Michael K. Williams) im Grunde alles, was sein soziales Schicksal für ihn vorgesehen hat, doch trotzdem scheint er in den für ihn vorgesehen Rollen autonom zu bleiben – was wohl die Faszination der gesamten Drogenszene – inklusive Polizei – für Omar erklärt. Die Kinder und Anfängerganster trauen sich seinen Namen nur im Flüsterton oder mit Ehrfurcht auszusprechen. Omar ist wie praktisch jeder junge Mann aus den Armenvierteln Baltimores im Drogenmilieu zu Hause, adaptiert aber sein soziales Schicksal nach seinem Gusto.

Teil des Spiels

Er beklaut furchtlos die großen Drogenbosse – und tut so das Seinige dazu, die Welt zumindest um ein paar Promille gerechter zu machen. Er trägt seine Sexualität in einem Umfeld vor sich her, in dem Homophobie quasi als höchstes Kulturgut zu gelten scheint, hochgehalten von Gangstern und Polizei gleichermaßen.

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Er beherrscht in einer Welt voller Gewalt innige Freundschaft ebenso wie tiefe Liebe. Er wagt all das, obwohl er in einer Welt lebt, die ihm rein gar nichts gegeben und ihn nur um Chancen betrogen hat. Er weiß, dass er Teil eines Spiels ist, aus dem er nicht aussteigen kann. Wie er aber mitspielt, diese Entscheidung lässt sich Omar nicht nehmen. (Beate Hausbichler, 9.1.2018)