Bernadette Mennel: Bildungsreform braucht Zeit.

Foto: Dietmar Stiplovsek

Bregenz – Nach 18 Jahren in der Politik und fünf Jahren in der Landesregierung gab Bernadette Mennel überraschend ihren Rücktritt bekannt. Nicht aus Frust, wie sie betont, sondern aus Wunsch nach einem Leben jenseits der Politik.

Die Bregenzer VP-Politikerin hat von rund 50 Expertinnen und Experten ein Forschungsprojekt zur gemeinsamen Schule erarbeiten lassen. Das Ergebnis ist die Basis für eine umfassende Schulreform in Vorarlberg, die man in Form einer Modellregion umsetzen möchte.

Die Juristin und frühere BHS-Lehrerin sieht die Schulentwicklung als langfristiges Projekt, die Modellregion brauche eine zehnjährige Vorbereitung.

STANDARD: War die Bildungspolitik, die sich auf Bundesebene ankündigt, ein Grund für Ihren überraschenden Rücktritt?

Mennel: Nein, ich gehe, weil die Zeit für mich nach 18 Jahren in der Politik reif ist. Im Regierungsübereinkommen finde ich viele gute Überlegungen wie die Stärkung der Elementarpädagogik, das zweite verpflichtende Kindergartenjahr – vorausgesetzt, es fließen Bundesmittel. Auch das Feedbacksystem für Lehrpersonen unterstütze ich. Bei der Gemeinsamen Schule gehen unsere Auffassungen aber auseinander.

STANDARD: Vorarlberg will die gemeinsame Schule als Modellregion erproben. Hat diese Idee unter Schwarz-Blau Chancen?

Mennel: Die neue Bundesregierung hat die gesetzliche Möglichkeit zur Einrichtung einer Modellregion nicht angerührt. Dass Modellregionen überhaupt möglich sind, geht auf unsere Arbeit zurück. Wir haben als einziges Bundesland durch unser Forschungsprojekt zur Schule der Zehn- bis 14-Jährigen eine vertiefte Analyse, eine datenbasierte Grundlage, auf der wir die Reform aufbauen können. Unsere Kriterien für die gemeinsame Schule sind hohe Leistung und Chancengerechtigkeit. Für die Forschungsarbeit haben wir viel Anerkennung und Wertschätzung bekommen.

STANDARD: Nicht von der Bundes-ÖVP, die ist gegen die gemeinsame Schule.

Mennel: Da gibt es viele kritische Stimmen, das darf man nicht verhehlen. Aber auch bei uns im Land sind Ängste vorhanden, vor allem von Eltern. Die muss man durch gute Informations- und Aufklärungsarbeit abbauen. Eltern haben Ängste, dass ihr Kind in einem heterogenen Klassenverbund weniger gefördert wird als in einer AHS-Unterstufe.

STANDARD: Widerstand kommt auch von Gymnasiallehrern.

Mennel: Das stimmt. Dabei geht es nicht um die Abschaffung des Gymnasiums, wie befürchtet wird, sondern um die Unterstufe. Ich bin optimistisch, dass sich durch die Pädagoginnenausbildung neu viel ändern wird. Ab 2021 werden alle Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr entweder für die AHS oder die Mittelschule ausgebildet, sondern für die Sekundarstufe. Das wird etwas in den Köpfen verändern.

STANDARD: Für viele Eltern geht das alles zu langsam.

Mennel: Es stimmt, Reformen im Bildungsbereich brauchen Zeit, weil jede Veränderung, jeder Schritt wohldurchdacht sein muss. Der Weg zur Modellregion ist ein Projekt, das auf zehn Jahre angelegt ist. Bevor man an die Organisationsentwicklung gehen kann, brauchen wir Unterrichts- und Personalentwicklung. In drei Jahren werden die ersten Schritte evaluiert.

STANDARD: Schaut man sich die schlechten Ergebnisse bei der Überprüfung der Bildungsstandards Vorarlberger Kinder an, sollte es schneller gehen.

Mennel: Das ist richtig. Wir haben entsprechende Maßnahmen gesetzt, die Tests sind nun Teil des Unterrichts, Lehrerinnen und Lehrer werden zur Weiterbildung verpflichtet.

STANDARD: Einer Ihrer Schwerpunkte war die Frühförderung. Was konnten Sie erreichen?

Mennel: Größtes Anliegen war mir die Chancengerechtigkeit. Jedes Kind soll die bestmögliche Bildung bekommen. Ein Schlüssel dazu ist die frühe Sprachförderung. Unser Pilotprojekt, die Erfassung der Sprachkompetenz in Kindergärten – von allen Kindern, nicht nur jenen mit Deutsch als Zweitsprache –, wird nun auf das ganze Land ausgerollt und wird in den Volksschulen weitergeführt. Jedes Kind bekommt durch gezielte Beobachtung individuelle Fördermaßnahmen. Zudem haben wir die Kindergartentarife vereinheitlicht, Ganztagesbetreuung leistbar gemacht. In Vorarlberg gehen fast alle Vierjährigen in den Kindergarten.

STANDARD: Was wünschen Sie sich vom Bund?

Mennel: Das Land hat für unser Volksschulpaket finanzielle Leistungen übernommen, die eigentlich Bundessache wären. Wir investieren zusätzlich 20,7 Millionen Euro im Jahr, das macht kein anderes Bundesland. Wir stellen den Volksschulen autonom Ressourcen zur gezielten Förderung von Lesen, Schreiben, Rechnen zur Verfügung. Das wird Wirkung zeigen, davon bin ich überzeugt. Von der Gesellschaft allgemein würde ich mir mehr Wertschätzung für die pädagogische Leistung in den Grundschulen wünschen.

STANDARD: Die Reform der Schulbehörden ist noch eine Baustelle. Wie weit ist die Bildungsdirektion Vorarlberg?

Mennel: Bildungsdirektionen sollen mit 1.1.2019 umgesetzt werden. Ein sehr ambitioniertes Ziel, ich denke, eine längere Übergangszeit wäre besser. Ich war immer sehr kritisch, was die Bildungsdirektionen betrifft, mir wäre eine Landesbehörde lieber gewesen. Entstanden ist eine Mischbehörde.

STANDARD: Eine sinnvolle Lösung?

Mennel: Ich bin sehr gespannt, welche Vorteile die Reform bringt. Wir haben im Landesschulrat wie in der Schulabteilung eine schlanke Behörde. Die Bildungsdirektion wird eine sehr komplexe Organisation. Ob sie Vorteile bringt, wird sich zeigen.

STANDARD: Werden Sie die neue Bildungsdirektorin?

Mennel: Eine sehr klare Antwort: Nein. (Jutta Berger, 11.1.2017)