Die aktuelle Lagezuschlagskarte der Stadt Wien.

Grafik: STANDARD

Wien – Innerhalb weniger Tage gab es, wie man so schön sagt, "Kalt-Warm" für Wiener Zinshausbesitzer. Zuerst kündigte die neue türkis-blaue Regierung eine Woche vor Weihnachten an, das bestehende gesetzliche Lagezuschlagsverbot in Gründerzeitvierteln kippen zu wollen. Dadurch wird es möglich, die Quadratmetermiete von Altbauwohnungen in vielen Lagen rund um den Gürtel (in der Grafik links sind das die weißen Flecken) auf einen Schlag um ein bis drei Euro anzuheben. Wohlgemerkt: bei Neuvermietung einer Wohnung und sofern es politisch zu keiner wie auch immer gearteten "Einschleifregelung" kommen sollte.

OGH sorgt für Dämpfer

Und dann war da andererseits eine am 5. Jänner veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH), die geeignet ist, den ob der Regierungspläne ausgebrochenen Jubel der Hausbesitzer gleich wieder einigermaßen zu dämpfen. Die Mieterin einer 83-m²-Wohnung im fünften Bezirk hatte sich in dem zugrunde liegenden Verfahren gegen einen ihrer Ansicht nach zu Unrecht eingehobenen Lagezuschlag von 0,94 Euro pro Quadratmeter auf die Richtwertmiete gewehrt (Anm.: Der Mietvertrag war 2013 abgeschlossen worden, heute wären in dieser Lage laut Lagezuschlagskarte der Stadt Wien bereits 2,18 Euro möglich) – und war damit erfolgreich.

Das Urteil ist deshalb bemerkenswert, weil es in dem Verfahren um ein Gebiet ging, in dem die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien explizit einen Lagezuschlag "erlaubt". Die Karte wird von der Magistratsabteilung 25 (Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser) alle paar Jahre aktualisiert, Grundlage sind die aktuellen Grundstückspreise.

Durchschnitt oder über Durchschnitt?

An der Karte orientieren sich nicht nur viele Vermieter, sondern auch die Schlichtungsstelle der Stadt Wien. Diese hatte in dem konkreten Fall den Lagezuschlag in der von der Lagezuschlagskarte empfohlenen Höhe gutgeheißen, das geht aus der veröffentlichten Entscheidung hervor. Die Mieterin ging dann aber vor Gericht. Sie sah die "Wohnumgebung" ihrer Wohnung im fünften Bezirk offensichtlich nicht als so "überdurchschnittlich" an, dass dafür ein Lagezuschlag gerechtfertigt wäre.

Das Bezirksgericht schloss sich noch der Meinung der Schlichtungsstelle an. Es sei von einer "überdurchschnittlichen Lage" mit "guter Infrastruktur" auszugehen. Zur Beurteilung, ob es sich um eine "überdurchschnittliche Lage" handle, sei die Lage nämlich "mit sämtlichen anderen Lagen Wiens" zu vergleichen.

"Faktische Umgebung" zählt

Die Mieterin ging in Rekurs, das Landesgericht für Zivilrechtssachen sah die Sache dann schon anders. Auch außerhalb eines Gründerzeitviertels seien durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Lagen denkbar und in der Praxis anzutreffen, und zur Beurteilung sei nur "die faktische Umgebung der konkreten Liegenschaft" heranzuziehen, was klarerweise eine kleinere räumliche Einheit sei als etwa ein politischer Bezirk oder ein ganzes Bundesland.

Genau darüber – was denn nun als Vergleichsbasis heranzuziehen sei – sollte schließlich der OGH eine grundsätzliche Entscheidung treffen. Und er kam zu zwei Entscheidungen, die sich nach Ansicht mancher Wohnrechtsexperten nun geradezu dramatisch auswirken könnten: Einerseits sage der Grundkostenanteil, der die Lagezuschlagskarte beeinflusst, bezüglich der Frage, ob eine Lage als überdurchschnittlich zu bewerten sei, noch nichts aus, so der OGH (5 Ob 74/17v). Mit anderen Worten: Nur weil eine Liegenschaft höhere Grundkosten aufweist, könne deshalb nicht von einer überdurchschnittlichen Lage gesprochen werden. Schon allein dies ist eine recht klare Zurückweisung einer bisher von Wohnrechtlern vertretenen Rechtsmeinung, die eher der Immobilienwirtschaft nahestehen. Wohnrechtsexperten von Mieterschutzorganisationen weisen schon seit längerem darauf hin, dass die bloße Orientierung an den Grundkosten von ihnen als falsch erachtet wird, die Handhabung aber jedenfalls einer rechtlichen Klarstellung bedürfe.

"Prüfung im Einzelfall"

Zum anderen sagte der OGH, dass als Referenzgebiet für die Beurteilung einer Lagequalität weder das ganze Stadtgebiet noch ein ganzer Stadtbezirk herangezogen werden dürfe. Stattdessen sei entsprechend der gesetzlichen Regelung in Paragraf 2 des Richtwertgesetzes "die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen" , und dies gelte folgerichtig auch für die nach dem Mietrechtsgesetz erforderliche Beurteilung, ob eine Liegenschaft eine Lage aufweist, die "besser" ist als die bloße "durchschnittliche Lage".

Der Gesetzgeber habe die Überdurchschnittlichkeit einer Lage also "gerade nicht an die für die Berechnung des allfälligen Lagezuschlags maßgebliche Differenz der Grundkostenanteile geknüpft", stimmt der OGH einer Ausführung des AK-Wohnrechtsexperten Walter Rosifka explizit zu. Sondern es sei auch auf "typische Bebauungsmerkmale wie eine 'gründerzeitliche Bebauung'" abzustellen. Und dies wiederum bedürfe einer "Prüfung im konkreten Einzelfall", so der OGH.

Mieterschützer erfreut

Mieterorganisationen reagierten entsprechend erfreut auf das Urteil. Die Mietervereinigung feiert konkret die nun vom OGH bestätigte Rechtsansicht, dass die Höhe der Grundkosten in gewissen Lagen keine Auskunft darüber gibt, ob eine Lage durchschnittlich oder überdurchschnittlich sei.

Genau darin sehen Kritiker der Entscheidung wie der Wohnrechtsexperte und FH-Dozent Christoph Kothbauer aber eine große Schwachstelle. Gerade die Grundkosten würden doch andererseits wieder von der "qualitativen Einschätzung einer Wohnumgebung" bestimmt, so Kothbauer in einem Kommentar zur Entscheidung. Die beiden Faktoren voneinander abzukoppeln, sei "gewagt", es könne dadurch zu "absurden Ergebnissen" kommen: etwa höhere Mieten für mäßige Wohnungen in peripheren Lagen, aber einem attraktiven "bebauungsspezifischen Umfeld" als für zentraler gelegene Wohnungen mit "nicht herausragender" Wohnumgebung.

Höhere Chancen für Anfechtung

Generell eröffnet das Urteil aber jedenfalls den Mietern von Altbauwohnungen mehr Chancen, ihre Miete anzufechten. Insbesondere auf die Schlichtungsstelle dürfte mehr Arbeit zukommen, und diese wird wohl künftig auch in "Lagezuschlagslagen" viel genauer hinsehen müssen.

Andererseits ist fraglich, wie groß die Auswirkungen der Entscheidung letztlich sein werden. Wie man hört, hat es die neue Regierung mit einem völlig neuen Mietrecht nämlich recht eilig. (Martin Putschögl, 14.1.2018)