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Ein "Geben und Nehmen" bei den Sondierungen zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Martin Schulz in Berlin.

Foto: Reuters/Hanschke

Wie langes Warten doch die Perspektive verändern kann. Der Durchbruch bei den Sondierungsgesprächen zwischen CDU, CSU und SPD hat am Freitag in Berlin Erleichterung ausgelöst, als gäbe es schon eine neue Regierung. Davon jedoch sind die Verhandler weit entfernt. Man hat jetzt einmal entschieden, dass man grundsätzlich Sinn darin sieht, Koalitionsgespräche über eine neue große Koalition aufzunehmen.

Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen waren die Sondierer diesmal äußerst schnell, hatten offenbar intern wenige Querelen und legten dann auch noch ein Ergebnis vor. Getrieben hat sie nicht die Lust auf weitere gemeinsame schwarz-rote Jahre am Kabinettstisch, sondern die Angst vor Neuwahlen. Niemand hätte sich im Fall eines Scheiterns ausmalen mögen, wie stark die AfD bei neuen Bundestagswahlen hätte werden können – bloß mit dem Hinweis, wie unfähig die "Altparteien" doch seien. Es wäre schwierig gewesen, dem zu widersprechen.

Und so haben alle Beteiligten nachgeben müssen, dafür aber auch etwas bekommen. Kanzlerin Angela Merkel kann verbuchen, dass die Steuern nicht erhöht werden, mit der schrittweisen Abschaffung des Solidaritätsbeitrags sogar sinken werden. CSU-Chef Horst Seehofer trägt die sehr enge Begrenzung des Familiennachzugs und eine Straffung der Asylverfahren nach Hause. Und SPD-Chef Martin Schulz kann für sich verbuchen, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder den gleichen Beitrag zur Krankenversicherung zahlen sollen. Derzeit zahlen die Arbeitnehmer mehr. Auch die Festschreibung des Rentenniveaus auf 48 Prozent bis 2025 geht auf seine Kappe. Dafür bekamen die Sozialdemokraten ihre Bürgerversicherung nicht.

Als "Papier des Gebens und Nehmens" bezeichnet Merkel den schriftlich festgehaltenen Kompromiss bei der Sondierung. Nach großer Begeisterung und Aufbruch klingt das nicht, vielmehr nach nüchternem Blick auf die Realität. Aber langes Warten verändert ja die Perspektive. Vielleicht muss man jetzt erst einmal froh sein, dass eine wichtige Etappe erreicht wurde. Zu Ende ist es ohnehin noch nicht. Zunächst muss die SPD der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen, dann geht es in die Details. Und man braucht nicht zu glauben, dass es dabei nicht noch einmal schwierig werden könnte. (Birgit Baumann aus Berlin, 12.1.2018)