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"Krass, solche barocken Elogen auf Rape-Culture": der Triton-Brunnen im Wiener Volksgarten.

Foto: picturedesk / Wilfried Gredler-Oxenbauer

Der Feminismus 2017 begann für mich mit einer eigenartigen Szene am Triton- und Nymphen-Brunnen im Wiener Volksgarten. Da saß ich nämlich in den ersten wärmeren Tagen des Jahres und sah den Täuberichen beim Balzen zu. Auch die Erpel stürzten sich frühlingswild, wie Kamikaze-Jäger, aus der Luft ins Brunnenwasser und trieben dort die Enten ihrer Wahl vor sich her.

Der Mund zum Schrei aufgerissen

Vorbei zog eine der unvermeidlichen asiatischen Reisegruppen, die Wien kollektiv durch auf Handystangen gepackte Smartphones besichtigen. Der Brunnen war klares Fotomotiv, woraufhin ich auch genauer hinschaute: Da trägt Triton, ein Satyr mit Fische-Pferde-Unterleib, eine Nymphe auf der Schulter, die sich windet und ganz offensichtlich nicht goutiert, was Triton mit ihr vorhat. Er speit zur Seite wie einer, der seine Arbeit gut gemacht und die Beute fest im Griff hat. Sie blickt, den Mund zum Schrei aufgerissen, gen Himmel.

Und ist das jetzt ein Zufall, dass die Fontäne nur aus seinem, nicht aber auch aus ihrem, obgleich doch geöffneten Mund spritzt? "Hm", dachte ich damals, "krass, und warum hat eigentlich noch keine Gleichstellungsinitiative gegen solche Figurengruppen Protest eingelegt?" Schließlich sind solch barocke Elogen auf Rape-Culture ziemlich empörend. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das ein Thema wird.

Das Täuberich-Erpel-Triton-Erlebnis lag noch vor der #MeToo-Debatte. Aber #MeToo liegt nach #Aufschrei aus dem Jahr 2013, nach kritischen Diskussionen um Berlusconis Bunga-Bunga-Partys und Dominique Strauss-Kahns Zimmermädchenaffären und nach den ersten wirklich wirkungsvollen Enthüllungen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche 2010.

Etappen auf dem langen Weg

All diese öffentlichen und immer wiederkehrenden Skandale erscheinen wie Etappen auf dem Weg zu einer langsamen Veränderung der sexuellen Kultur. Das Fähnchen der Sensibilität, des Verständnisses für marginalisierte Gruppen hat sich – teilweise wenigstens – gedreht; Werte wie Egalität, Antidiskriminierung oder Schutz von Schwächeren sind wesentlich stärker im Commonsense verankert als noch vor 15 oder 20 Jahren.

Folglich verlieren die alten "Kavaliersdelikte" an moralischem Kredit und die Bilder und Worte ihre Unschuld beziehungsweise wir unsere Naivität. Denn Vergewaltigung steckte immer schon im Triton-Brunnen, nur war das früher halt normal und nicht der Rede wert. Jetzt plötzlich sehen wir "rape"/"Missbrauch" überall, und die Schwierigkeit ist, dass man halb Wien sprengen müsste, wollte man brutalbarocke Lustdarstellungen grundsätzlich problematisieren oder gar nicht mehr öffentlich herzeigen.

Machen wir einen Sprung zu Madame Chantelouve. Die Dame spielt in Joris-Karl Huysmans Roman "Là-bas" eine Rolle, unter anderem in einer sehr eigenartigen Liebesszene. Umworben vom Helden der Geschichte, Durtal, ziert sie sich, wie und weil es sich so gehört. Durtal strengt sich an, bedrängt seine Beute auch ein bisschen und bekommt sie schließlich ins Bett. Nur: Es macht ihm keinen Spaß. Durtal möchte eigentlich den Beischlaf gar nicht, Madame Chantelouve hingegen entbrennt nachhaltig in sexueller Leidenschaft.

Spaß oder harte Arbeit

Die ironisch-komische Liebesszene bei Hyusmans ist misoygn, gar keine Frage, schließlich stammt sie aus der Zeit der Triton-Brunnen. Aber sie ist auch auf produktive Weise verwirrend. Denn erstens wirft sie die generelle Frage auf, ob dieses Sex-Ding den Männern eigentlich Lust bereitet. Ist das alles ein Spaß oder doch eher harte Arbeit? Zweitens kommt der Verdacht auf, dass das "Triton-Spiel" – so will ich es einmal nennen – im Grunde eine Abwehr ist, eine Versicherung gegen die Lust der Frau.

Denn nichts ist so unangenehm in unserer das Weibliche beschämenden Kultur wie die hemmungslos sexualisierte, alles verschlingende, die phallische oder besser noch: die vaginale Frau, die sich nimmt, was sie will, und sich auf eine Weise entblößen könnte, die uns alle das Fürchten lehrt. Huysmans Romanszene erinnert daran, wie wahnsinnig viel unbefriedigte Frauenlust es auf diesem Planeten geben muss, wie viel durch Gewalt verstümmeltes oder auch nur frustriertes, gedemütigtes und aufs Warten, auf Schönseinwollenmüssen, aufs Verführtwerden beschnittenes Begehren.

Mehrfach ist angemerkt worden, dass Aktionen wie #Aufschrei oder #MeToo das "Nein" in den Vordergrund stellen. Es steht – na ja, warum wohl? – die Abwehr im Vordergrund und die Notwendigkeit weiblicher Zustimmung. Die Frau soll Nein oder Ja sagen dürfen und erinnert damit tiefenpsychologisch an die Imago der Mutter, die verbietet oder erlaubt. Die Frau, die das Spiel bestimmt, die Nymphe, die sich den Triton schnappt und ihn nach Strich und Faden fickt, kommt in diesem Bild nicht vor. Insofern existiert eine geheime Allianz zwischen dem Narrativ von #MeToo und dem des Triton-Brunnens.

"Brüderlich" klingt unsexy

Es gibt einen feministischen Fortschritt, wie wackelig und prekär die Dinge auch liegen mögen, und 2017 wurde mit #MeToo weiter Geschichte geschrieben. Wobei, das sei angemerkt, wir auf hohem Niveau diskutieren und der wirkliche Skandal für Feministinnen sein sollte, dass kaum eine der nach Europa geflüchteten Frauen hier ankommt, ohne auf der Route sexuelle Gewalt erfahren zu haben.

Ihr #MeToo möchte man sich noch nicht einmal vorstellen. Beeindruckend ist jedoch, wie mächtig die "nackte Wahrheit" sein kann, wie befreiend, wenn öffentlich benannt wird, welche Übergriffigkeiten bislang alle als "normal" oder unvermeidbar galten.

Wie dagegen eine gute Konsenskultur der Geschlechter aussehen könnte, hat Laurie Penny kürzlich in ihrem Text "The Horizon of Desire" ausbuchstabiert. Konsens, sagt sie dort, sei kein feststehendes Ding, sondern eben ein immer wieder auszuhandelnder Prozess: "Du kannst tatsächlich Nein sagen, selbst wenn du in der Vergangenheit einmal Ja gesagt hast. ... Konsens ist mehr als die Abwesenheit eines Nein. Er ist die Möglichkeit eines wirklichen Ja."

Ich denke an einen Satz von Simone de Beauvoir. Am Ende von "La deuxième sexe" formuliert sie die Utopie, Frauen und Männer könnten irgendwann vielleicht "brüderlich" zusammenleben. Dieser Satz ist oft kritisiert worden, weil de Beauvoir die männliche Form favorisiert und weil "brüderlich" ziemlich unsexy klingt. Vielleicht klingt es aber auch ein bisschen schwul, und vielleicht ließe sich ausgerechnet hier für Feministinnen etwas lernen.

Man muss die schwule Sexkultur nicht verherrlichen – sie kennt Unterwerfung, Vergewaltigung, Demütigung und üble Verachtung des Weiblichen wie alle anderen Kulturen auch, und es laufen in ihr definitiv zu viele aufgepumpte Tritons herum. Aber mir scheint, dass in ihr auf der Grundlage der Achtung als "Mann", als "Gleicher" ein freieres Spiel möglich ist.

Die phallische-vaginale Frau

Gleichheit garantiert, dass die Rollen männlich/weiblich, aktiv/passiv, mächtig/ohnmächtig potenziell umkehrbar sind, dass die Macht nicht stillsteht, sondern fließt, dass die Dominanz mal hier sein kann und mal dort.

Das etwas protestantisch anmutende Verhandlungsethos einer Konsenskultur (Was will ich, was willst du, wo ist die Mitte?) ist eine Lösung; eine andere wäre ein Modell, in der die Macht des "Ich-will-und-ich-kann" so verteilt ist, dass beide Seiten sie haben und ausagieren, wenn auch vielleicht nicht zur gleichen Zeit.

Um dieses Modell "rotierender Macht" in eine feministische Utopie zu überführen, müsste sich die gesellschaftliche und das heißt: die sexuelle Rolle von Frauen ändern. Es bedarf der phallischen oder eben der phallisch-vaginalen Frau. Solange SIE als diejenige agiert, die sich ziert, hat ER die Macht. Solange SIE sich nur wehrt, bleibt das Spiel bei IHM. Solange ER überwältigt, kann SIE nicht überwältigend sein – auch wenn ER ihr erzählt, wie umwerfend sie aussieht. (Andrea Roedig, 13.1.2018)