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Blase und Blödsinn sind mitunter kommunizierende Gefäße.

Foto: Reuters / David W. Cerny

Ein Mann und eine Frau im Salon. Er redet Blödsinn, sie weist ihn unwirsch zurecht. Der Mann: "I didn't expect a kind of Spanish Inquisition!" Tusch. Drei Kardinäle betreten den Raum ("Nobody expects the Spanish Inquisition!"). Mangels Streckbank binden sie einen Geschirrständer auf die Frau. Kein Geständnis. Später werden sie versuchen, eine alte Dame mit weichen Kissen zu foltern. Auch kein Geständnis. Und als akkurat ein Richter zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt wird, versäumen sie ihr Stichwort und ihren Auftritt, weil ihr Linienbus zu spät am Old Bailey eintrifft.

Angesichts so mancher Debatte unserer Tage (Stichwort #MeToo) gewinnt dieser bizarre, 50 Jahre alte Monty-Python-Sketch wieder an Aktualität: "I didn't expect a kind of Spanish Inquisition!"

Die ruhige, unvoreingenommene Diskussion von Sachverhalten, das Denken als Diskurs – beides scheint nicht mehr mehrheitsfähig zu sein. Stattdessen wird in intellektuellen Armenspeisungen mit der großen Kelle ein wohlfeiler "Humanitarismus" ausgegeben, der niemandem wehtut, am wenigsten dessen eifrigen Proponenten selbst (siehe Interview mit Alexander Grau: "Hier prallen Milieus aufeinander").

Sich "betroffen" machen

Ein ausgeprägter Opfernarzissmus grassiert allenthalben. Denn wer sich selbst "betroffen" macht, stellt die eigene Position außer Zweifel. Dass tatsächliche Opfer dadurch zumindest beschämt werden könnten, ist ein leichtfertig in Kauf genommener Kollateralschaden. Wo verurteilt statt abgewogen wird, darf man eben nicht zimperlich sein.

Immerhin dient die sportlich angetragene Selbstgerechtigkeit ja einem durchaus erstrebenswerten Ziel, nämlich der Komplexitätsreduktion in einer weitgehend unüberschaubar gewordenen Welt. Auf den allerkleinsten Nenner gebracht könnte das wohlmeinende Motto dieser moralischen Patronage lauten: Kinderchen, lasst euch doch an der Hand nehmen, wir führen euch unbeschadet durch das finstere Tal des Lebens.

Flugs wird die Ideologie Einzelner so zur allgemeinen Moral erklärt. Angemessen dick garnieren lässt sich dieser aufgeblasene Moralismus mit jener allgemeinen Infantilisierung von Gesellschaft und Sprache, die etwa der Philosoph Robert Pfaller in seinem neuen Buch beschreibt ("Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur", Fischer, 2017).

Wahrnehmungsmatrix

Dass in einer solchen Wahrnehmungsmatrix jeder Versuch der Differenzierung zwingend zum moralischen Makel werden muss, steht im kleingedruckten Teil des Lebens, den die eifrigen TugendboldInnen nicht gelesen haben. Und so kommt es, wie es kommen muss: Mit reflexhafter Borniertheit und blindwütigem Furor versuchen sie, den Menschen die Freiheit auszutreiben – die Freiheit, anders zu denken, andere Positionen einzunehmen, und, das ist ein wesentliches Merkmal des Erwachsenwerdens, die Freiheit, Ambivalenzen und Unzulänglichkeiten gegen den Terror der Eindeutigkeit auszuhalten.

Wie aber kommt es, dass dieser "Schwenk ins Intolerante" (Grau) vor allem in den vergangenen Jahren immer wirkmächtiger wird?

Eine interessante Antwort findet sich in einer schon vor längerer Zeit erschienenen Titelgeschichte von "The Atlantic". Das Magazin zeichnet unter dem Titel "The Coddling of the American Mind" ("Die Verhätschelung des amerikanischen Geistes") nach, wie sich die herkömmliche Political Correctness der 1980er- und 1990er-Jahre auf den US-Universitäten in eine unbändige und unbedingte Nachfrage nach "emotional well-being" gewandelt hat.

Aus diesem Grund haben Verwaltungen an den Unis sexistischen, rassistischen oder anderen "Mikroaggressionen" gegen alles und jeden nachzuspüren. Lehrende müssen Trigger-Warnungen über Vorlesungsinhalte ausgeben, die bei angeblich traumatisierten Studenten Schocks auslösen könnten (in Harvard gab es etwa Aufforderungen an Professoren, keine Strafrechtsvorlesungen mehr über Vergewaltigung zu halten). Und: Unis müssen sogenannte Safe Spaces einrichten, in denen sich der zartbesaitete akademische Nachwuchs mit Kuscheltieren, Keksen und Kamillentee vom Lehrstoff erholen kann.

Im Wohlbefinden gestört

Im Gegensatz zu ihren Eltern seien die Kinder der Babyboomer und der Generation X in ihren frühen Jahren übermäßig beschützt worden, schreibt "The Atlantic". Nun hielten sie, zu Studenten herangewachsen, keine "bösen Wahrheiten" mehr aus. Denn diese würden sie in ihrem gefühligen, geordneten Leben und in ihrem emotionalen Wohlbefinden stören.

Übersetzt heißt das: Realität hin oder her – was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Studenten werden an den Unis nicht mehr erwachsen, sie bevorzugen es, kindisch zu bleiben, gewissermaßen magisch zu denken und sich im Zweifel keiner sachlichen Argumentation auszusetzen.

Eine solche nicht nur an US-Unis verbreitete Welthaltung hat naturgemäß Folgen. Zumal wenn sie dauernd über die Amplifikatoren der Social Media in die Welt hinausgeplärrt und von gleichgeschalteten Gleichgesinnten verstärkt wird. We didn't expect a kind of Spanish Inquisition? Unter den gegebenen Umständen kann man die Frage nur rhetorisch verstehen. (Christoph Prantner, 14.1.2018)