Arbeitslos, hartes Los. Oder "Durchschummler" im Sozialsystem?

Foto: apa/dpa/Katja Lenz

Jemanden als Schmarotzer oder, synonym, als Parasiten, Abstauber, Nutznießer zu bezeichnen, ist in der Menschheitsgeschichte nichts Neues. Im Nationalsozialismus wurden damit antisemitische Stereotype bedient. In Zusammenhang mit dem Wohlfahrtsstaat kommt die Bezeichnung "Sozialschmarotzer" in den 1970ern und 1980ern auf. Oft sind es Einzelfälle, die generalisiert werden und schließlich für eine ganze Personengruppe stehen. So unterschiedlich diese Debatten auch sein mögen, eines ist ihnen meist gemein: Es handelt sich um eine Fremd-, keine Selbstbeschreibung.

Der Blickwinkel, aus dem dieser Begriff heute benutzt wird, variiert stark. Der Soziologe Stephan Lessenich verwendete es im STANDARD-Interview vor einem Jahr aus einer ganz anderen, globalen Perspektive. "Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass unsere Lebensweise nur möglich ist, weil es in weiten Weltregionen eben nicht geht, entsprechend zu leben. Wir leben auf Kosten anderer", sagte er, und am Beispiel Ressourcen, Rohstoffe, Umwelt: "Der Kapitalismus lebt parasitär."

Türkis-Blau und die "Durchschummler"

Für Poster "nick G." ist die von der türkis-blauen Regierung verwendete Bezeichnung "Durchschummler" Neusprech für "Sozialschmarotzer". Das türkis-blaue Regierungsprogramm sieht vor, das Arbeitslosengeld künftig degressiv zu gestalten. Bedeutet: Wer länger ohne Job ist, soll weniger bekommen. Ein Hartz-IV-Modell, wie man es in Deutschland kennt, soll es nicht geben, betonen Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache. Doch wer versuche, sich "durchzuschummeln", müsse damit rechnen, dass auf sein Vermögen zurückgegriffen wird, so Kurz. Ähnlich formuliert es Strache: "Durchschummler" werde man nicht "durchtragen".

Sprache und Politik

Wer eine Vokabel in den Diskurs einbringt, tut das oft nicht ohne Hintergedanken. Elisabeth Wehling erklärt in ihrem Buch "Politisches Framing", warum auch Sprache Politik ist. Schmarotzer schwächen den Organismus, den Wirt, letztlich die Nation. Ein Beispiel: Die in Debatten über Sozialleistungen oft zitierte "soziale Hängematte", also "dass der Leistungsberechtigte es sich bequem macht", blendet aus, dass "Leistungen so bemessen sind, dass sie ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten", schreibt Wehling. Gemessen an den materiellen Standards unserer Wohlstandsgesellschaft dürfe bezweifelt werden, dass damit ein "entspanntes Dasein" möglich sei.

In der STANDARD-Agenda vom Wochenende widmete sich ein Text jenem Bild, das die türkis-blaue Regierung von Arbeitslosen hat. Auch in den STANDARD-Foren wurde darüber diskutiert. Poster "BF07" ist der Ansicht, dass Arbeitslose ebenso wenig eine homogene Menschengruppe sind wie der arbeitende Teil der Bevölkerung.

Poster "beiLichtbetrachtet" findet, dass die Ausgaben für Sozialleistungen "nur ein kleiner Teil des (Budget-)Problems sind":

"Vereinzelte Ausnutzung gibt es in jedem Metier", so Poster "solemare":

Ähnlich sieht das Poster "kberger". Er versteht nicht, "wie man Leuten die Armut neiden kann":

Poster "Grazer1000" erklärt: "Das 'System' gerechter zu machen, ohne mit dem Vorwurf der Unmenschlichkeit konfrontiert zu werden, ist ein Kunststück, das nicht gelingen kann."

Poster "§83SPG93" findet es wichtig, "'Anreize zu schaffen' beziehungsweise 'von außen zu motivieren'":

Was ist links, was rechts?

Auch Soziologieprofessor Jörg Flecker thematisierte kürzlich in einem Kommentar der anderen die Arbeitsmarktpolitik der neuen Regierung. Entgegen den Tatsachen werde "der Öffentlichkeit vermittelt, dass es an 'Anreizen' für die Erwerbslosen fehlt, Arbeit anzunehmen, und daher Arbeitslosigkeit wegen des mangelnden Willens zur Arbeit bestehe".

Posterin "schreiberinB" hat im Forum ihre Definition von "Sozialschmarotzer" und dessen, was ihrer Meinung nach linke und rechte Standpunkte sind, geteilt:

Poster "TomTom34" würde auf Transparenz setzen:

Poster "Hier steht Ihr Postingname" über die Scham, als "Sozialschmarotzer" abgestempelt zu werden:

Wie viele "Durchschummler" gibt es? Dazu gibt es im Forum unterschiedliche Ansichten:

Poster "RegusFerro" findet: Das "AMS soll keine Geldquelle fürs Nixtun sein!"

Bessere Anreize, strengere Regeln?

Helmut Mahringer ist Arbeitsmarktexperte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Die seiner Meinung nach sinnvollste Maßnahme ist es, den Betreuungsschlüssel im Arbeitsmarktservice zu erhöhen: "'So finden mehr Arbeitslose einen Job, und durch die bessere Kontrolle wird Missbrauch eher sanktioniert'", sagt Mahringer im STANDARD.

Braucht es bessere Anreize und strengere Regeln für Arbeitslose, oder reichen die derzeitigen Kontrollen durch das AMS? Welches Menschenbild haben Sie von Arbeitslosen? (Sabine Bürger, 16.1.2018)