Stevie Wonders Fantasie eines "Perfect Angel" personifizierte sich in Minnie Riperton. Kein Wonder.

Capitol / Universal

Wien – Für ihr drittes Album wäre sie beinahe gestorben. Die Plattenfirma hatte die Idee, sie neben einem Löwen zu fotografieren. Das ging noch gut, doch beim Dreh für einen Werbefilm attackierte der Löwe Minnie Ripperton. Nur dem beherzten Einsatz ihres Gatten und des Tiertrainers war es zu danken, dass der Albumtitel "Adventures in Paradise" nicht gleich Realität wurde – das sollte ohnehin viel zu früh eintreten.

Die Sängerin Minnie Riperton starb 1979 im Alter von 31 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Nun ist ihr 1974 von Stevie Wonder produziertes Album "Perfect Angel" neu aufgelegt worden, erweitert um Demoaufnahmen und Bonustracks. Sie unterstreichen den Genieverdacht, der die 1947 in Chicago geborene Sängerin zeitlebens begleitet hat.

Das Cover von "Perfect Angel".

Dabei hatte sie sich schon fast zur Ruhe gesetzt, als sie nach ihrem 1971 veröffentlichten Debüt zwei Kinder bekam und dem Familienleben den Vorzug vor ihrer Karriere gab. Doch da war Stevie Wonder. Die beiden kannten sich, und als in Riperton der Wunsch keimte, ein zweites Album aufzunehmen, sollte Wonder es produzieren.

Der war jedoch vertraglich an das Label Motown gebunden. Doch Wonder wäre kein kreatives Genie, hätte er dafür keine Lösung gefunden. Als Produzent tarnte er sich hinter dem Aliasnamen, Scorbu Productions, als Begleitmusiker wählte er den Namen einer seiner Firmen: El Torro Negro, der Schwarze Stier.

Fünf-Oktaven-Stimme

Perfect Angel ist eines von vielen weniger bekannten Meisterwerken seiner Zeit. Eingespielt in Los Angeles atmet es die Atmosphäre der Westcoast. Stilistisch legt es sich nicht auf Soul oder Funk fest. Ein Lied wie "It’s So Nice (To See Old Friends)" ist eher klassisches Singer-Songwriting, das mit der Steel-Guitar sogar einen Country-Touch besitzt, den Ripertons fünf Oktaven umfassende Stimme karamellisiert; ein anderes, "Take A Little Trip", jazzelt wiederum ein wenig.

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Was heute als stilistische Breite eingeordnet würde, erschien den Radiostationen nicht eindeutig genug zuordenbar, schoss aber dennoch auf Platz eins der Rhythm-and-Blues-Charts. Wer außerhalb von Schubladen denkt, hört ein immens ein reichhaltiges Album. Selbst wenn man nicht für alles empfänglich ist, allein der Opener "Reasons" ist ein Traum. Wonder sitzt am Schlagzeug, die Band fällt in einen lässigen Groove, in dem eine nach oben ziehende Rockgitarre sich am Firmament mit Ripertons Stimme vereint: Ein Gänsehautmoment.

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Titel wie Seeing You This Way unterstreichen die subtile Klasse dieser Aufnahmen, die sich auch über die nun neu hinzugefügten Demos offenbart. Die Produktion bettet Ripertons Gesang auf ein weiches Bett, der Rest ist Timing und Gefühl. Vier weitere Alben sollten zu Lebzeiten noch erscheinen, sogar als sie 1976 die Brustkrebsdiagnose erhielt, setzte sie ihre Karriere fort und sich für die Krebsforschung ein.

Hundertfach gesampelt

Die Samplekultur fand in ihren Alben später einen reichen Fundus vor. Größen wie A Tribe Called Quest, Massive Attack, De La Soul, Eminem und dutzende mehr veredelten mit Ripertons Musik ihre Kunst. Erleben sollte sie das nicht mehr.

Minnie Julia Riperton starb am 12. Juli 1979 in den Armen ihres Mannes. Neben dem Krankenbett stand ein Plattenspieler. Darauf lief eine Platte, die Stevie Wonder für sie ganz allein aufgenommen hatte. (Karl Fluch, 17.1.2018)