Wien/Graz – Seit 2010 wird versucht, eine der gefährdetsten Arten der Welt, die Nördliche Batagur-Schildkröte, nachzuzüchten. Mit Erfolg: Ausgehend von sieben der Wissenschaft bekannten Exemplaren wurde der Bestand inzwischen auf mehr als 500 Tiere vermehrt. Doch nun steht das Projekt vor großen Problemen – eine Auswilderung der Fluss-Schildkröten sei derzeit sinnlos, sagt der österreichische Zoologe Peter Praschag.

Die ersten Schritte einer Nördlichen Batagur-Schildkröte.
Foto: Turtle Island

Praschag, der die Erhaltungszuchtstation "Turtle Island" in Graz leitet, berichtet im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Herpetologie, die am Wochenende (19.-21.1.) im Naturhistorischen Museum Wien stattfindet, über die Fortschritte und Schwierigkeiten des Artenschutzprojekts. "Für uns stellt sich die Frage nach der Langzeitstrategie", so der Experte.

Begehrte Kiefermäuler

Die bis zu 60 Zentimeter große Nördliche Batagur-Schildkröte lebte früher in Indien, Bangladesch und Myanmar in Flüssen und Brackwasser. Sie wurde wegen ihres Fleischs, ihrer Eier und ihres als angebliches Heilmittel verwendeten Panzers stark bejagt und war in freier Wildbahn praktisch verschwunden. In internationaler Zusammenarbeit wurde 2010 vom Zoo Schönbrunn und Turtle Island ein Nachzuchtprojekt in Bangladesch gestartet, parallel dazu begann ein ähnliches Projekt in Indien.

"Ausgegangen sind wir damals von nur sieben bekannten Exemplaren, die wir in Indien in Fischteichen gefunden haben", so Praschag. Gleich im ersten Jahr war der Zoo Schönbrunn erfolgreich mit der weltweit ersten Nachzucht einer Batagur-Schildkröte. Das Projekt entwickelte sich so gut, dass neben der ursprünglichen Zuchtstation im Zentrum Bangladeschs ein zweiter Standort im Süden des Landes etabliert wurde. In Summe ist der Bestand mittlerweile auf über 500 Tiere angewachsen, was angesichts ihrer Größe viel Platz und Geld für deren Haltung erfordere.

Batagur-Schildkröte aus dem Nachzuchtprogramm des Tiergartens Schönbrunn.
Foto: Turtle Island

Tiere verschwinden in wenigen Tagen

Im Hinblick auf eine künftige Auswilderung und weil man "so gut wie nichts über die Biologie und Ökologie dieser Art weiß", wie Praschag sagt, haben die Wissenschafter im Vorjahr zwei mit Satellitensendern ausgestattete Männchen in einem Nationalpark in Bangladesch ausgesetzt und verfolgt. Das Ergebnis war ernüchternd: "Ein Männchen verschwand nach acht Tagen, als es sich der Zivilisation genähert hatte", so der Zoologe. Das zweite Männchen wurde innerhalb von drei Wochen zwei Mal gefangen: Beim ersten Mal gab es ein Fischer freiwillig ab, beim zweiten Mal wurde es bei einer Polizeikontrolle im Auto eines anderen Fischers entdeckt.

"Offensichtlich ist es relativ unsinnig, derzeit die Tiere auszuwildern, weil sie so gut wie keine Überlebenschance haben, nicht einmal, wenn man sie in einem Nationalpark auslässt", sagt Praschag: "Wir haben jetzt genug Tiere und wollen diese auch aus Platzgründen auswildern, aber aufgrund dieser miserablen Voraussetzungen machen wir es nicht."

Stattdessen setzt man nun auf Zeit. "Vor fünf Jahren konnte man in Bangladesch noch ganz offen am Fleischmarkt Schildkröten kaufen", mittlerweile sei das verboten und das Bewusstsein für Artenschutz steige. Praschag: "Es ist eine Tendenz in Richtung Verbesserung zu sehen, zur Zeit ist es aber noch zu früh für eine Auswilderung."

An eine Auswilderung der Tiere ist derzeit nicht zu denken.
Foto: Turtle Island

Langfristige Lösung gesucht

Aus diesem Grund werden Lösungen gesucht, eine größere Zahl an Tieren unterzubringen. Dabei stellt sich allerdings ein weiteres Problem: Erst kürzlich habe man einen Tierpfleger entlassen müssen, weil er vier Tiere gestohlen hatte, so der Forscher. Liebhaber würden viel Geld für die seltenen Schildkröten bieten.

Auch in zoologischen Institutionen anderer Länder sollen Batagur-Schildkröten untergebracht werden. In der Grazer Erhaltungszuchtstation sei man allerdings schon an den Kapazitätsgrenzen, dort gebe es bereits rund 1.000 Schildkröten aus rund 130 verschiedenen Arten. "Auch für unsere Absicherungskolonie der Batagur-Schildkröten in Europa brauchen wir mehr Platz", so Praschag. Bis Ende Jänner läuft für den Ausbau von "Turtle Island" eine Crowdfunding-Aktion. Geplant sei auch, die Erhaltungszuchtstation öffentlich zugänglich zu machen. (APA, red, 19.1.2018)