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Die "Große Äthiopische Renaissance-Talsperre" ist noch in Bau.

Foto: AP Photo/Elias Asmare, File

Könnte bitte jemand in Washington kurz "Fire and Fury" weglegen – lange genug, um zu bemerken, dass sich am Roten Meer eine neue Kriegsgefahr aufbaut? Das schreibt sinngemäß Steven Cook vom Council on Foreign Relations in seinem jüngsten Blog auf Salon.com. Die akuten Spannungen zwischen Ägypten und Sudan werden international vielleicht noch als das übliche bilaterale Hickhack verbucht. Es geht aber um weit mehr.

Der Konflikt innerhalb der arabischen Golfstaaten, in dessen Zentrum Katar steht, ist – mit türkischer Mitwirkung – gewissermaßen von der Arabischen Halbinsel auf die afrikanische Seite des Roten Meers übergeschwappt und gibt schon vorhandenen Problemen eine neue Schärfe. Das komplexe politische Theater spielt sich in einer von Militärbasen – auch westlicher und asiatischer Staaten – gespickten Region ab.

Beim Krieg der Worte zwischen Kairo und Khartum geht es zuallererst ums Nilwasser: die "Große Äthiopische Renaissance-Talsperre", von der Ägypten einen Einbruch der Wasserversorgung – bis zu 22 Milliarden Kubikmeter jährlich weniger – befürchtet. Der Damm, auf äthiopischem Territorium nahe an der sudanesischen Grenze, ist etwa zu sechzig Prozent fertiggestellt. Seine Errichtung ist von vergeblichen Versuchen begleitet, einen Kompromiss unter den Nil-Anrainern zu finden. Aber das wird durch die neuen regionalpolitischen Entwicklungen völlig unmöglich gemacht.

Wasser und Territorium

Latente Konflikte werden wieder angezündet: wie der Streit um das zwischen Ägypten und dem Sudan umstrittene "Halayeb-Dreieck" an der Grenze der beiden Länder. Es wird von Ägypten kontrolliert. Aber Ägypten hat ja jüngst auch die Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer an Saudi-Arabien "zurückgegeben". Und nun sieht auch der Sudan die Zeit gekommen, die Halayeb-Frage zu lösen, zu seinen Gunsten natürlich.

Davon will Kairo nichts wissen. Khartum beschuldigt nun Ägypten, in Eritrea Truppen zu sammeln – und zwar im dortigen Militärstützpunkt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die beim Wettlauf um einen militärischen Anker in der Region besonders aktiv sind und auch in Somaliland eine Basis haben. Sudan hat in der Grenzprovinz zu Eritrea, Kassala, den Notstand ausgerufen und selbst Truppen stationiert.

Die ägyptische militärische Präsenz in Eritrea verärgert aber auch Äthiopien – Eritrea ist ja Produkt einer Sezession von Äthiopien -, das sich nun umso mehr an den Sudan hält: Der Wunsch Kairos, unter dem Ausschluss des Sudan über den Damm und das Wasser zu verhandeln, wurde abgelehnt, der sudanesische Verteidigungsminister nach Addis Abeba eingeladen – und die Arbeiten an der riesigen Talsperre beschleunigt.

Besuch aus Ankara

Bisher ist in dieser Gemengelage nur die VAE ein "äußerer" Akteur. Aber der Auslöser für die aktuelle Eskalation kam aus der Türkei: Ende Dezember besuchte Tayyib Erdoğan – als erster türkischer Präsident überhaupt – den Sudan. Im Gepäck hatte er großartige Kooperationsangebote für das wirtschaftlich schwache Land, und er bekam, was er sich dafür gewünscht hatte: Die kleine Insel Suakin vor der Küste wird auf 99 Jahre vom Sudan an die Türkei geleast. An der Restaurierung des osmanischen Erbes arbeiten die Türken schon länger. Suakin war jahrhundertelang der wichtigste Hafen für Mekka-Pilger aus Afrika und hat erst Anfang des 20. Jahrhunderts seine Bedeutung zugunsten Port Sudans verloren.

Es geht also vordergründig um Tourismus, aber die Lage von Suakin und die neue Infrastruktur – etwa Werften – sind durchaus auch militärisch interessant. Die Türken sind wieder da: Und sie sind, das ist vor allem die Meinung Ägyptens und der VAE, "Muslimbrüder". Die Theorie, dass die Revitalisierung von Suakin eigentlich ein katarisches Projekt ist oder zumindest von Katar finanziert wird, konnte nicht ausbleiben. Die Türkei hat ja auch einen Militärstützpunkt in Katar: Die Türken hinauszuwerfen war eine der (unerfüllten) Forderungen von Saudi-Arabien, VAE, Bahrain und Ägypten, das Katar seit Sommer 2017 boykottiert.

Sudans Seitenwechsel

Die große Frage ist aber nun, ob der Sudan die Seiten gewechselt hat: Präsident Omar al-Bashir, der 1989 durch einen Putsch an die Macht kam, stammt ja persönlich aus dem Muslimbruder-Umfeld. In den vergangenen Jahren hatte der Sudan insofern einen Außenpolitikwechsel vollzogen, als die starke iranische Präsenz – die auch immer wieder zu israelischen Luftschlägen im Sudan führte – beendet wurde. Omar al-Bashir stellte auch Truppen für den saudisch-geführten Kampf gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen zu Verfügung. Dass Khartum nun aber den Türken den Weg ans Rote Meer ebnet, war wohl nicht vorgesehen.

Die Ägypter haben fünf Jahre nach dem Sturz von Präsident Mohammed Morsi Angst, dass der Sudan wieder ein Sammelplatz für Muslimbrüder werden könnte. Die Saudis und ihre Alliierten fürchten wiederum, dass vom Sudan aus wieder Hilfe an die Rebellen im Jemen fließen könnte.

Besonders böses Blut fließt zwischen Ankara und Abu Dhabi: Nach dem Putschversuch 2016 zeigte die Türkei mit den Finger auf die VAE. Die VAE wiederum sehen die Türken als treibende Kraft hinter dem Arabischen Frühling von 2011, der für die Emirate nichts anderes als ein umstürzlerisches Muslimbruder-Projekt war. Wenn etwa Erdoğan, wie unlängst, nach Tunesien fährt, dann schrillen in den VAE die Alarmglocken. Und nun schenkt Omar al-Bashir ausgerechnet Erdoğan eine Insel im Roten Meer. (Gudrun Harrer, 19.1.2018)