Drei Jahre nach der Geiselnahme in einem Supermarkt in Paris wurde dieses Geschäft Opfer eines Brandanschlags.

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Paris – Das Hakenkreuz ist verkehrt gezeichnet, und die mit grünem Filzstift gekritzelten Worte sind voller Rechtschreibfehler. Aber der Sinn des jüngsten Schreibens, den das jüdische Zentrum der Vorortsgemeinde La Varenne Saint-Hilaire im Pariser Osten diese Woche erhalten hat, ist glasklar: "Drecksjuden, Bande von Bastarden, nach Créteil werdet ihr verbrennen."

Was mit "Créteil" gemeint ist, wissen die Franzosen auch nur zu gut: In dieser Vorstadt südöstlich von Paris brannte in der Nacht auf den 9. Jänner ein kleiner jüdischer Supermarkt aus, nachdem die Brandstifter Hakenkreuze auf die Wände gesprayt hatten. Das Lokal war mit "Hypercacher" angeschrieben gewesen – genau wie jenes Geschäft, das genau drei Jahren zuvor, nach dem blutigen islamistischen Terrorangriff auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo", Schauplatz einer Geiselnahme mit vier Toten geworden war.

Jüdische Bürger im Visier

In den letzten drei Jahren hat die Zahl der antisemitischen Anschläge (335 im Jahr 2016) landesweit abgenommen. Trotzdem steigt in der jüdischen Gemeinschaft Frankreichs – mit schätzungsweise 500.000 Mitgliedern die größte Europas – wieder die Angst. Denn neuerdings richten sich die Attacken nicht mehr gegen die Synagogen, sondern gegen die Juden selbst. Im vergangenen Jahr wurde eine pensionierte Ärztin namens Sarah Halimi im Pariser Einwandererviertel Belleville mitten in der Nacht von einem Nachbarn attackiert und über den Balkon in den Tod gestürzt. Der Täter, ein afrikanischer Muslim, beschimpfte die Pensionisten laut Zeugen als "Sheitan" (Arabisch für "Teufel"). Erste Annahmen, es handle sich um einen psychiatrischen Fall, werden mehr und mehr angezweifelt.

In Livry-Gargan, ebenfalls im ärmeren Pariser Osten, wurde bei einer Familie eingebrochen, "weil die Juden Geld haben", wie die Täter meinten, als sie das ältere Ehepaar fesselten und malträtierten, bis es einen Kreditkartencode herausgab.

Die statistische Abnahme der antisemitischen Taten wird vor allem auf den Polizei- und Militärschutz jüdischer Einrichtungen zurückgeführt, der nach den Terroranschlägen von 2015 verstärkt worden war. Der jüdische Dachrat Crif meint, dass dafür die persönlichen Attacken zunähmen, aber oft nicht registriert würden. "Drecksjude" sei in der Banlieue schon zu einer fast banalen Beschimpfung geworden.

Verdrängter Antisemitismus

Täter sind meist nordafrikanische Immigranten. Laut dem Kulturhistoriker Georges Bensoussan geht der Judenhass in Frankreich derzeit weniger von Rechtsextremen aus: "Die Neuheit ist der muslimische Antisemitismus." Wenn er politisch unterstützt werde, dann eher von antizionistischen Linken. In Frankreich werde er weitgehend verdrängt, da das bis auf den Algerienkrieg zurückgehende Spannungsverhältnis zwischen sephardischen Juden und Muslimen zu brisant sei.

Als Folge ziehen heute wieder mehr Juden aus den Problemvierteln aus und siedeln sich, wenn sie es sich leisten können, im besseren Westteil von Paris an. Im Osten schließt eine jüdische Schule nach der anderen. Das Nationale Büro für Aufmerksamkeit gegen Antisemitismus behauptet, es lasse keine noch so kleine Beschimpfung durchgehen, sondern reiche systematisch Klage ein. In der endlosen Banlieue von Paris, Lyon oder Marseille kämpft es aber auf verlorenem Posten. (Stefan Brändle aus Paris, 21.1.2018)