Innsbruck – "Die Patienten kommen oft tagelang nicht an die frische Luft", kritisiert die Leiterin der Tiroler Patientenanwaltschaft, Patricia Gerstgrasser, die Zustände an den geschlossenen psychiatrischen Abteilungen in Innsbruck, Hall und Kufstein. Schriftliche und mündliche Hinweise auf die Missstände waren bisher erfolglos.

"Ganz hinten"

Die erst 1999 eingerichtete psychiatrische Abteilung am Bezirkskrankenhaus Kufstein wurde im vierten und obersten Stockwerk "ganz hinten" angesiedelt. Für regelmäßige begleitete Spaziergänge im Garten fehlt schlicht das Personal, sagt Gerstgrasser. Primar Carl Miller meint, der Standort sei nicht ideal, aber "wir versuchen diese Patienten in Begleitung täglich in den Garten zu bringen".

Am Psychiatrischen Krankenhaus Hall hatten die alten geschlossenen Abteilungen direkte Gartenzugänge, die neuen Stationen nicht mehr. Im Primariat B gibt es seit Kurzem wenigstens mit Gittern gesicherte Terrassen, die aber selbst der ärztliche Leiter Harald Schubert als Käfige bezeichnet. Im Schubert direkt unterstehenden Primariat A sind Patienten auf begleitete Spaziergänge angewiesen.

Am dramatischsten ist aus Sicht Gerstgrassers die Situation an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Innsbruck. Chronische Überbelegung führt nicht nur dazu, dass die nach dem Unterbringungsgesetz eingelieferten Patienten nur sporadisch ins Freie kommen. Seit 1998 hat sich die Zahl der "Fixierungen" verdreifacht, im Vorjahr war jeder vierte Patient unfreiwillig davon betroffen. Klinikchef Hartmann Hinterhuber spricht von einer hundertprozentigen Auslastung an den beiden geschlossenen Abteilungen. Ein Neubau der geschlossenen Frauenstation mit eigener Terrasse und "erweitertem Therapie- und Freizeitangebot" sei geplant.

Mehr Unterbringungen

Im ersten Halbjahr 2005 sind die "Unterbringungen ohne Verlangen" in Innsbruck neuerlich um 28 Prozent gestiegen. Gerstgrasser sieht eine österreichweite Tendenz: 1991, im ersten Jahr nach der Psychiatriereform und dem Inkrafttreten des Unterbringungsgesetzes, waren 4094 Personen gegen ihren Willen in einer Psychiatrie. 2004 waren es bereits 17.143. (hs, DER STANDARD – Printausgabe, 12. Oktober 2005)