Zur Person

Der Sozialanthropologe Hermann Mückler ist Vizedekan der Fakultät für Sozialwissenschaften und lehrt am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien. Er forschte zu Fidschi und anderen Ländern Ozeaniens und ist Präsident der Österreichischen Südpazifischen Gesellschaft (OSPG).
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Publikationen
Hermann Mückler: Fidschi. Das Ende eines Südseeparadieses. Wien: Promedia.
Erich Kolig, Hermann Mückler (eds.): Politics of Indigeneity in the South Pacifc. Recent Problems of Identity in Oceania. Hamburg: LIT

Nicht der "ethnische Konflikt" zwischen Indo-Fidschianern und den melanesisch-stämmigen Fidschianern steht hinter den Unruhen auf Fidschi, sondern Kämpfe zwischen rivalisierenden Häuptlingstümern. Der Putschführer, Armeechef Voreqe Frank Bainimarama, ist dabei der eigentliche Verfechter der Verfassung und einziger Garant für Stabilität, sagt der Sozial- und Kulturanthropologe Hermann Mückler im derStandard.at- Interview . Die Fragen stellte Heidi Weinhäupl.

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derStandard.at: Am Dienstag hat Armeechef Voreqe Frank Bainimarama den bereits länger angekündigten Staatsstreich umgesetzt. Was steht hinter dem aktuellen Konflikt?

Hermann Mückler: Die derzeitigen Ereignisse waren vorhersehbar und stehen in direkter Verbindung mit dem Putsch des Jahres 2000 und der seither stattgefundenen politischen Entwicklungen. Seit jener Zeit ist das Land nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die politischen Eliten des Landes - und ich meine hier die melanesisch-stämmigen Fidschianer - haben sich seit damals im Kampf um die Macht und die ökonomisch bedeutsamen Pfründe des Landes aufgerieben und zu einer permanenten Destabilisierung des Landes beigetragen. Kern des Problems ist, daß der Putsch des Jahres 2000 häufig als ethnisch motivierter Konflikt zwischen den indisch-stämmigen sogenannten Indo-Fidschianern und den melanesisch-stämmigen Fidschianern interpretiert wurde. Das ist nur an der Oberfläche korrekt.

derStandard.at: Worum ging es dann tatsächlich?

Mückler: Tatsächlich ging es damals um den offen ausgebrochenen Kampf zwischen verschiedenen traditionell orientierten bedeutsamen Häuptlingstümern (und damit Regionen) und deren Protagonisten sowie zwischen "alten traditionellen" Häuptlingen und den Vertretern einer gut ausgebildeten ökonomisch erfolgreichen neuen Oberschicht. Ich betone hier: der derzeitige Konflikt und die Konfrontationen der vergangenen sechs Jahre sind nur zu einem geringen Teil ein ethnischer Konflikt, vielmehr jedoch das Ringen um die Macht von vor allem zwei bereits seit Jahrhunderten einflußreichen Klanen bzw. Häuptlingstümern, deren Schlüsselpersonen abwechselnd in der Politik dominierende Rollen spielten.

derStandard.at: Und welche Rolle spielt das Militär dabei?

Mückler: Das Militär war beim Putsch des Jahres 2000, als ein Zivilist die gewählte gemischt-ethnisch strukturierte Regierung unter dem Indo-Fidschianer Mahendra Caudhry mehrere Monate im Parlamentsgebäude gefangen hielt und stürzte, die einzige Gruppe, die sich loyal an die damals gültige Verfassung hielt. Ohne Armeechef Bainimarama wäre es im Jahr 2000 kaum zur Verhaftung und Verurteilung der Putschisten gekommen, die Rückkehr zur Normalität und die Beruhigung der innerfidschianischen Konflikte war damals dem Militär zu verdanken. Ich kann daher nicht in den allgemeinen Chor der Kritiker einstimmen, die die Rolle des Militärs bei den aktuellen Ereignissen kategorisch verdammen. Ohne diese Ordnungsmacht wäre das Land schon viel früher im Chaos versunken.

derStandard.at: Warum bestand der bisherige Premier Laisenia Quarase auf der Amnestie der Anführer des Putsches im Jahr 2000?

Mückler: Weil Quarase selbst vom Putsch profitiert hat. Er ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung gewesen. Im Jahr 2000 wurde eine rechtmäßig gewählte Regierung von indigenen Fidschianern weggeputscht, mit Sanktus der meisten traditionell orientierten Häuptlingstümer, aus denen auch Quarase stammt. Er ist, auch wenn ihm eine direkte Beteiligung an den Putschereignissen nicht nachgewiesen werden kann, ein Vertreter jener Eliten, die damals die Macht erlangen wollten. Dasselbe gilt auch für den Präsidenten Ratu Iloilo. Gerüchte wollen seit damals auch nicht verstummen, dass die Amnestie an den Putschistenführer George Speight einer Abmachung folgt, die wahren Hintermänner der damaligen Ereignisse nicht preiszugeben.

derStandard.at: Welche Interessen standen in Wahrheit hinter dem Putsch?

Mückler: Speight war damals eine vorgeschobene Marionette, ein politisches Leichtgewicht, der in einem Aufwaschen zwei Dinge erreichen sollte: die Entfernung des indo-fidschianischen Ministerpräsidenten Chaudhry und die Entmachtung der damals dominierenden Politikerclique unter ihrem damaligen Präsidenten Ratu Mara, der ein Vertreter der traditionellen Konföderation Tovata war. Sie ist eine der vier mächtigen Zusammenschlüsse mehrerer Häuptlingstümer. Deren Vertreter bestimmten die Geschichte Fidschis seit der Unabhängigkeit im Jahr 1970 entscheidend. Direkter Rivale der Tovata ist die Konföderation Kubuna, deren Anhänger den Putsch im Jahr 2000 maßgeblich unterstützten - logistisch, personell und ideell. Kubana-Vertreter wie Quarase konnten seitdem die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten umkehren und sich in politischen Spitzenpositionen festigen. Quarase ist also Nutznießer des Putsches von 2000 und steht den damaligen Putschisten naturgemäß wohlwollend gegenüber.

derStandard.at: Armeechef Bainimarama begründete seinen Staatsstreich damit, dass die geplante Amnestie die Spannungen zwischen Indo-Fidschianern und den melanesisch-stämmigen Fidschianern verstärkt hätten. Wie schätzen Sie die Situation ein – wäre tatsächlich ethnische Gewalt zu befürchten gewesen?

Mückler: Seine Argumentation ist insofern richtig, als die Indo-Fidschianer die Verlierer sind. Eine Verfassung, die ihnen mehr Mitsprache gewährt hätte, wurde ausgesetzt, zwei Wahlen abgehalten, bei denen es keine Rückkehr zu den Verhältnissen vor dem Jahr 2000 gab. Das Hauptproblem bei der Frage der Landverpachtung und Landnutzung ist, dass ethnische Fidschianer das Land verfassungsmäßig garantiert besitzen und Indo-Fidschianer es überwiegend nur pachten können. Hier sind viele Pachtverträge ausgelaufen und dies wurde von radikalen Fidschianern wiederholt dazu benutzt, viele Indo-Fidischianer ihrer Existenzgrundlage zu berauben und in die Emigration zu treiben.

Die jetzt weggeputschte Regierung, die man als nationalistisch und rechtslastig konservativ bezeichnen konnte, hat diese Entwicklung noch verschärft. Tatsächlich aber wäre die indo-fidsschianische Community zu schwach, um größere Unruhen auszulösen. Resignation, Auswanderung und Verunsicherung prägen die Stimmung bei den Indo-Fidschianern. Viele haben die Hoffnung auf eine Entspannung der Situation längst aufgegeben, geschweige denn auf eine größere Mitbeteiligung an den politischen Entscheidungsfindungs-Prozessen.

derStandard.at: Wie hat sich die Spaltung des Landes in zwei politische Lager entlang ethnischer Grenzen entwickelt? Wodurch wurde sie – historisch gesehen – gefördert?

Mückler: Seit 1879 wurden von der damaligen britischen Kolonialverwaltung Inder vom Subkontinent als Arbeitskräfte für die Baumwoll- und später vor allem Zuckerrohrplantagen ins Land gebracht. Die meisten Inder blieben nach Ablauf ihrer meistens fünfjährigen Verträge im Land und hatten durch ihre größere Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber den ethnischen Fidschianern eine Zeitlang sogar die Mehrheit im Land erreicht.

Seit 1987 ist dieser Trend jedoch genau umgekehrt. Vor allem seit dem Jahr 2000 ist die massive Abwanderung ein echtes Problem für das Land, da die Indo-Fidschianer meistens besser qualifiziert waren und somit ein "brain drain" stattfand, der das Land heute in den Bereichen Medizin, Schulwesen und gehobenem Management vor echte Probleme stellt. Es gab und gibt ethnisch motivierte Probleme, die sich vor allem in der bereits erwähnten Landnutzung niederschlagen. Den ethnischen Fidschianern war und ist verfassungsmäßig die Mehrheit der Sitze im Parlament garantiert, die Indo-Fidschianer dominieren mehrerer der entscheidenden Wirtschaftszweige. Bei den Putsch-Ereignissen im Jahr 1987 und 2000 wurden wiederholt indo-fidschianische Geschäfte geplündert.

derStandard.at: Gibt es Bereiche, in denen Indo-Fidschianer gesellschaftlich benachteiligt wurden und werden?

Mückler: Ja, das betrifft vor allem den Bereich der politischen Mitgestaltung.

derStandard.at: Aber in anderen Bereichen – beispielsweise in der Wirtschaft – scheinen Indo-Fidschianer wiederum überproportional vertreten zu sein?

Mückler: Die Mehrheit der Anwälte, Ärzte, gehobenen Beamten sowie Medienvertreter waren Indo-Fidschianer. Im Tourismus, der für Fidschi entscheidend ist, befinden sich im mittleren und gehobenen Management überproportional viele Indo-Fidschianer.

derStandard.at: Bainimarama bezeichnete sich selbst als Beschützer des Multikulturalismus in Fidschi – er trat auch gegen Gesetzesvorhaben der Regierung von Premier Laisenia Qarase ein, wonach der ur-fidschianischen Bevölkerungsmehrheit weitere Land- und Seerechte eingeräumt geworden wären. Vertritt er die Seite der Indo-Fidschianer; wird er auch von ihnen unterstützt?

Mückler: Um es klarzustellen. Bainimarama vertrat und vertritt als einziger die verfassungsmäßig festgelegten Vorgaben. Er tritt gegen die weitgehend korrupte ethnisch fidschianische Politikerkaste auf und sieht vielleicht als einziger sogenannte übergeordnete Staatsinteressen gegenüber den Partikularinteressen der untereinander rivalisierenden nationalistischen fidschianischen Politiker. Natürlich verfolgt er eigene Ziele: Er braucht eine funktionierende Wirtschaft, um das Land zu beruhigen und arbeitet daher zwangsläufig mit Indo-Fidschianern zusammen. Er ist gegen die alten Klüngel der Häuptlingseliten, da er selbst keiner hochstehenden Häuptlingsfamilie angehört. Einen gewissen Hass auf die alten Seilschaften kann man ihm wohl nicht absprechen, aber auch nicht verdenken. Wie weit er mit Vertretern aus der indo-fidsschiansichen Community zusammenarbeitet, ist nur schwer nachvollziehbar. Fest steht, daß die Armee zur Zeit die einzige Macht im Land ist, die Stabilität garantieren kann. Die Politiker - und zwar Vertreter aller nationalistischen Parteien, mit Ausnahme der Fiji Labour Party - haben zur Destabilisierung des Landes beigetragen. Eine Ausweitung der Rechte der indigenen Fidschianer auf Kosten der Indo-Fidschianer würde deren Exodus und damit den Niedergang des Landes weiter beschleunigen. Dieses Bild hat er sicher vor Augen.

derStandard.at: Wohin migrieren die Indo-Fidschianer; gibt es hier aktuelle Zahlen? Ist zu erwarten, dass die Migration weiter ansteigt?

Mückler: Die meisten gingen nach Australien, Kananda, USA und Neuseeland. Nach Indien gingen wohl kaum welche zurück. Um es zu verdeutlichen: Vor 1987 waren rund 45 Prozent der Bevölkerung Fidschis Indo-Fidschianer. Diese Zahl ist nun auf unter 30 Prozent gesunken mit deutlicher Tendenz nach noch weiter unten. Für das Land ist dies fatal.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftliche Situation ein? Sind Einbrüche im Tourismus zu erwarten?

Mückler: Die Einbrüche im Tourismus sind bereits gravierend und nicht mehr mittelfristig behebbar. Fidschi leidet noch an den Konsequenzen des Jahres 2000 - und nun noch ein Putsch. Das Land ist in einen Teufelskreis gelangt, der an die Situation vor 1874 erinnert. Bevor die britische Kolnialmacht das Land übernahm, gab es jahrzehntelange Kriege zwischen den damals dominierenden Häuptlingstümern. Diese setzen sich nun unter anderen Vorzeichen fort. Ich habe nicht umsonst einmal von einem "back to the chessboard" gesprochen und damit gemeint, daß innerfidschianische Entwicklungen, welche die Geschichte des Inselreiches über Jahrhunderte prägten, in der Kolonialzeit unterdrückt wurden und seit der Unabhängigkeit langsam wieder an die Oberfläche drängen. Man macht dort weiter, wo man vor über 100 Jahren aufgehört hat. Die Rivalität der alten Häuptlingstümer ist ungebrochen und wird mit großer Heftigkeit ausgetragen. Der ethnische Konflikt ist dabei manchmal nur das Mäntelchen, um einen Sündenbock zu haben. Aufgrund dieser Situation wird sich der Tourismus lange nicht erholen, vor allem auch, da die pazifische Inselwelt insgesamt nicht mehr als friedliche Region gesehen wird, wie z.B. die jüngsten Ereignisse in Tonga zeigen.

derStandard.at: Die politische Situation ist derzeit recht unübersichtlich – wie lautet Ihre Prognose für die nächsten Entwicklungen?

Mückler : Die Absetzung der korrupten und - durch zweimalige fragwürdige Wahlen nur scheinbar legitimierten Regierung könnte eine Chance sein. Tatsächlich wird der Druck von außen, vor allem von Australien, jedoch eine Konsenslösung erzwingen, die eine Perpetuierung der Situation erwarten lässt. Man müßte zur Verfassung von 1997 zurückgehen, um allen Beteiligten eine reelle Chance der politischen Mitbestimmung einzuräumen. Ich prognostiziere eine langandauernde Phase der Instabilität, eine Fortsetzung der dominierenden Rolle des Militärs - dieses wird sich nun nicht mehr so leicht in die Kasernen zurückdrängen lassen, selbst wenn Bainimarama nicht mehr der Armee vorstehen sollte - und einen weiteren wirtschaftlichen Niedergang, der wiederum zu Exodus von Indo-Fidschianern und neuen Problemen führen wird.