Bild nicht mehr verfügbar.

Der "Luzifer-Effekt": Bestimmte soziale Situationen können den Teufel im Menschen wecken.

Foto: REUTERS/Felix Ordonez

Wien – Machtvolle Situationen können Individuen komplett verändern – "gewöhnliche und gute Menschen fangen an, sich illegal und amoralisch zu verhalten", berichtete der US-Psychologe Philip Zimbardo (74) von seiner jahrzehntelangen Forschung zum Gewaltverhalten von Menschen. Die Wandlung des menschlichen Charakters zum Bösen beschreibt er als den Luzifer-Effekt. Der emeritierte Professor der Stanford University ist in dieser Woche Gastprofessor an der Webster University in Wien, die ihm am Samstag im Rahmen der Graduierungs-Feier ein Ehrendoktorat verleihen wird.

Der Psychologe wurde insbesondere mit seinem 1971 durchgeführten "Stanford Prison Experiment" bekannt. "Normale" Studenten schlüpften in die Rollen von Wärtern und Gefangenen in einem "Versuchsgefängnis". Die Wärter handelten sehr schnell extrem sadistisch, die Inhaftierten wurden depressiv. Das Experiment musste nach sechs Tagen abgebrochen werden – es war ursprünglich für zwei Wochen geplant. Seither forschte Zimbardo mehr als 30 Jahre zu diesem Thema und fasste seine Ergebnisse in einem jüngst erschienenen und bisher nur auf Englisch veröffentlichen Buch "The Lucifer Effect" (Random House 2007) zusammen.

Üblicherweise wird "beim Versuch, das böse Verhalten zu verstehen, immer das Individuum beschuldigt", so Zimbardo: "Man schaut auf die Eigenschaften im Inneren der Person, wie etwa auf Genetik, Personalität und Pathologie." So sei es auch der Ansatz von Gesetzen, der Medizin, der Religion und der Psychiatrie, das Individuum als Sünder und Kranken verantwortlich zu machen.

Die Macht von sozialen Situationen

Das "Stanford Prison Experiment" hat für Zimbardo dagegen demonstriert, dass wir vielmehr die Macht von sozialen Situationen berücksichtigen müssen. Die Kernbotschaft sei, "dass wir versagt haben, das Ausmaß zu erkennen, wie unser individuelles oder Gruppen-Verhalten von Dingen, die außerhalb von uns liegen, beeinflusst wird".

Eine andere Kernfrage ist für den ehemaligen Präsident der American Psychological Association, wie gut wir uns selbst und andere wirklich kennen. Mit dem "Luzifer-Effekt" versucht Zimbardo, die Natur des Menschen zu hinterfragen, und zu zeigen, wie der Mensch durch soziale Situationen korrumpiert werden kann. "Wir sollten lernen, wie wir diese Situationen verändern können." So hat der Psychologe auch versucht, Parallelen zwischen dem "Stanford Prison Experiment" und den Vorfällen im Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak zu ziehen.

"Diese Übergriffe der Soldaten oder Wächter passieren nicht, wenn es eine starke Führung gibt – eine klare, transparente Autorität, die das Zufügen von Leid mit Regeln verbietet." Nach den Schwächen des Systems, das den 'Luzifer-Effekt' herbeiführt, hätte man vorher nie gefragt, denn: "Das System ist, wo die Macht ist – militärisch, politisch, gesetzlich, wirtschaftlich."

Die Erkenntnisse Zimbardos befreien Individuen keineswegs von der Verantwortung ihres Handelns: "Aber wenn es klar ist, dass eine Situation ihren freien Willen eingeschränkt hat, dann sind sie nicht allein dafür verantwortlich zu machen. Dann stellt sich die Frage: Wer hat die Situation geschaffen?" In bildlicher Anlehnung an die Ausbreitung einer Grippeepidemie meint Zimbardo, dass nicht nur das medizinische Modell (die Behandlung einzelner Personen) anzuwenden sei, sondern das öffentliche Gesundheitssystem zu verbessern ist.

Helden für einen Moment

Beim "Stanford Prison Experiment" hatte sich gezeigt, dass sich die sadistischen Wärter nach Ende des Versuchs sofort wieder "normal" verhielten und auch langfristig keine Auffälligkeiten zeigten. Nur auf Grund der machtvollen Situation hätten sie sich verändert. "Mit dem Heldentum ist es das Gleiche. Es gibt nur einige Helden, die ihr Leben lang Helden waren, etwa Gandhi und Mutter Teresa.

Viele Menschen sind Helden des Moments – aus der Situation heraus", so Zimbardo. Diese würden sich aktiv gegen das Böse wenden und helfen. Sein neues "Hauptziel im Leben ist, diese heldenhafte Vorstellung zu verbreiten" – etwa auch bei Kindern. Denn "je mehr man an sich selbst als eine Art Held in Warteposition glaubt, wird man bei gegebener Zeit auch helfen." (APA/Red)