Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/Petra Masova
Die allgemeine Ambulanz des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien ist voll. Etwa 30 Menschen sitzen mit gesenktem Blick im Aufnahmesaal und warten, bis sie aufgerufen werden. Heute seien wenige da, sagt Ignaz Hochholzer, der Internist, der die allgemeine Ambulanz leitet. Manchmal würde sich eine Schlange bis weit auf den Gang hinaus bilden. Die Menschen kommen, weil sie wissen, dass hier nicht nach der E-Card gefragt wird.

80.000 Patientenkontakte

Die Ambulanz hat rund um die Uhr geöffnet. Und es kommen immer mehr. Waren es 2005 noch um die 70.000 Patientenkontakte, stieg die Zahl 2006 bereits auf 80.000. "Unsere Patienten sind Obdachlose, Betroffene des Frauenhandels, undokumentierte Migranten, frisch Geschiedene, Studenten, neue Selbstständige, Zeitungskolporteure und entlassene Häftlinge", sagt Reinhard Pichler, der Gesamtleiter des Krankenhauses.

Zahl der unversicherten Menschen gesunken

Obwohl die Frequenz in karitativen Betreuungseinrichtungen wächst, ist die Zahl der unversicherten Menschen in Österreich gesunken. 120.000 Personen waren 2006 in Österreich nicht krankenversichert, stellte der Hauptverband der Krankenversicherungsträger fest. Das sind 1,5 Prozent der Bevölkerung, im Jahr 2004 waren es noch 160.000. Seit 2004 gibt es eine Grundsicherung für Asylwerber, erklärt sich Michael Fuchs, Sozialwissenschafter am europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, einen Teil des Rückgangs. Nicht in der Statistik enthalten sind Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Die Gründe für das Herausfallen aus der Krankenversorgung seien sehr unterschiedlich, sagt Fuchs. Er hat 2003 im Auftrag des Gesundheitsministeriums eine Studie über Nichtversicherte erstellt. Viele würden in Übergangsperioden die Versicherung verlieren und wüssten dies oft nicht: frisch geschiedene Frauen oder Studenten, deren elterliche Mitversicherung mit 25 endet.

Sozialhilfe aus Scham nicht angenommen

Es gebe auch einige, die meinen, sie bräuchten keine Versicherung, da sie noch jung seien. Unversichert wären andererseits auch viele, die aus der Sozialhilfe Anspruch auf medizinische Leistungen hätten. Menschen mit starken psychischen Problemen oder Alkohol- und Drogenabhängigkeit schaffen die notwendigen Behördengänge nicht. Andere trauen sich nicht auf das Sozialamt. Nur die Hälfte der Haushalte, denen Sozialhilfe zustünde, nehme diese in Anspruch. Aus Scham würden viele darauf und damit auf medizinische Leistungen verzichten, berichtet Fuchs.

Versicherung nicht leistbar

Oder man kann sich keine Versicherung leisten: Ein Viertel der circa 200.000 geringfügig Beschäftigten sei nicht versichert, sagt der Sozialwissenschafter: "Wenn man im Monat weniger als 340 Euro verdient, sind 50 Euro Versicherung ein hoher Betrag."

Neue Selbstständige

So unterschiedlich die Schicksale sind, so gebe es doch Merkmale, die besonders häufig auftreten: männlich, um die 35 Jahre alt, allein stehend, geringe Schulbildung und Einkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze. In die Ambulanz der Barmherzigen Brüder kommen auch ganz andere Patienten: in den vergangenen vier Jahren vermehrt Freiberufler und neue Selbstständige, erzählt Hochholzer. Vor Kurzem sei ein Jungunternehmer hier gewesen. Er war in der Aufbauphase seines Unternehmens und ohne Versicherung. Die Erkrankung an Diabetes habe ihm nicht in die anstrengende Phase des Unternehmensaufbaus gepasst. "Er wollte nur eine Crash-Kur, um weiterzufunktionieren."

Freiberufler und Selbstständige würde nur wenige Prozent der Patienten ausmachen. Vor ein paar Jahren wäre diese Gruppe aber noch gar nicht vertreten gewesen.

Aus Angst um den Arbeitsplatz

Der Internist Hochholzer beobachtet eine weitere Veränderung in der Patientenstruktur: Es kämen immer mehr Menschen mit aufrechter Krankenversicherung und Ganztagsarbeitsplatz. "15 bis 20 Prozent sind das bereits", schätzt er. "Viele versuchen ihre gesundheitlichen Probleme zu lösen, ohne dass es der Arbeitgeber merkt. Sie kommen am Abend und am Wochenende." Die meisten täten dies aus Angst um den Arbeitsplatz. Oft seien das Menschen mit geringer Qualifikation, die in der Reinigungs- oder Servicebranche arbeiten - aber nicht nur diese: "Vor Kurzem war ein über 50-Jähriger aus dem mittleren Management mit einer schweren Lungenentzündung hier", erzählt Hochholzer. Die Empfehlung, zu Hause zu bleiben, lehnte er ab. Er wolle seine Gesundheit in seiner Freizeit hinkriegen.

Für solche Fälle ist die Ambulanz eigentlich nicht gedacht. "Wir sind eine Notfall-ambulanz für Menschen, die keine andere Möglichkeiten haben, medizinisch behandelt zu werden", betont Reinhard Pichler das Konzept.

Finanziert durch Spenden und Subventionen

Finanziert wird die Ambulanz - und die stationäre Behandlung von etwa 400 Patienten jährlich - mit Spenden und Subventionen der Stadt Wien. Menschen ohne Versicherung können sich auch an andere Einrichtungen, etwa der Ambulanz Amber-Med im 23. Wiener Bezirk, wenden - einer Kooperation der Diakonie und des Roten Kreuzes. Dort wird vor allem Flüchtlingen geholfen. In Graz gibt es die Marienambulanz der Caritas. Caritas-Präsident Franz Küberl fordert die Einrichtung mehrerer niederschwelliger Betreuungseinrichtungen in Österreich und gezieltere Information der Menschen über ihre Ansprüche. (MEDSTANDARD, 30.07.2007, Natasa Konopitzky)