Was denkt sich der Leser, wenn er in der ZEIT liest, dass der Münchner Bürgermeister den Wechsel in der Hirschen getrieben hat? Wenn es ihm so geht wie mir, dann denkt er sich, dass er soeben auf eine Lücke in seinem Vokabelbestand gestoßen ist. Kein Wunder, denn (ich zitiere aus der ZEIT) "außerhalb Bayerns wissen nur wenige Menschen, dass es sich bei einem Wechsel um einen Zapfhahn handelt und bei einem Hirsch um ein Holzfass mit etwa 200 Litern Inhalt". Umgekehrt wissen auch nur wenige Menschen außerhalb Wiens, dass der "Hirsch", im Wiener Dialekt auf ein humanes Wesen angewendet, gleich zwei, einander leicht widersprechende Bedeutungen hat: "Hirsch" meint nämlich einen "flinken Menschen", aber auch einen "Tölpel" (Wolfgang Teuschl, Wiener Dialekt-Lexikon). Das ist widersprüchlich, weil sich Tölpel, mit der Ausnahme von Forrest Gump vielleicht, ja üblicherweise eher durch eine gewisse Langsamkeit auszeichnen, also das Gegenteil von "flinken Menschen" sind.

Da schon vom (sprachlichen) Verhältnis von Mensch und Tier die Rede ist: In A. Storfers Buch "Im Dickicht der Sprache" (ich habe dieses Werk bereits vor ein paar Wochen, unter dem Stichwort "Sterni leuchtunt", erwähnt und empfohlen) bin ich auf ein Kapitel mit dem Titel "Tiernamen als Krankheitsnamen" gestoßen. Darin legt Storfer detailliert dar, dass es – was mir bisher nicht bewusst war – für viele menschliche Krankheiten animalische Bezeichnungen gibt: Den Krebs natürlich, aber auch den Wolf, den Star, die Grillen, die Polypen, den Frosch, der im Hals sitzt, den Vogel, den man im Kopf hat, sowie einige weniger geläufige Tierarten: Der Krampf der Gebärmutter soll im Volksmund auch "Krot" (Kröte) heißen, während der "Bock" ein volkstümlicher Ausdruck für die Gicht ist. Möglicherweise haben ja auch die geneigten Leser zum Hirschen oder zu den tierischen Krankheitsbezeichnungen die eine oder andere Assoziation parat. (Christoph Winder, derStandard.at/25.09.2007)