Zur Person
Der angolanische Schriftsteller Fernando Fonseca Santos wurde 1949 in der Hafenstadt Benguela, einem Hauptumschlagplatz des Sklavenhandels in die Neue Welt, geboren. Obwohl aus der portugiesischen Kolonialbevölkerung stammend, beschäftigte er sich schon früh mit der Kultur der Ovimbundu im Hochland von Bié, deren Sprache Umbundu er spricht. Diese Sprache lässt der Autor auch in sein literarisches Werk einfließen.

Seit den frühen Neunzigerjahren publizierte Fonseca Santos vier Romane und einen Band mit Kurzgeschichten. Während seines Wien-Aufenthaltes liest er aus seinem Roman Os Caminhos da Terra (Der Lauf der Welten). Der Roman erzählt die Geschichte eines portugiesischen Journalisten auf seiner Reise als Korrespondent im Bürgerkriegs-Angola.

Fonseca Santos studierte Rechtswissenschaften und lebt heute als Rechtsanwalt in Lissabon.

Foto: Michael Vosatka

Fernando Fonseca Santos sprach im Rahmen der Veranstaltung "Angola - Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg" im Afro-Asiatischen Institut Wien gemeinsam mit Kathrin Sartingen (Institut für Romanistik/Univesität Wien), Franz Fluch (Journalist und Autor, Schwerpunkt: Afrika und Lateinamerika), Jorge Jover (Direktor der Handelsgesellschaft MITC, seit 1975 Projektarbeit in Angola), Walter Sauer (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte/Universität Wien, Leiter des Dokumentationszentrums Südliches Afrika SADOCC).
(von links nach rechts)

Foto: Michael Vosatka

Die Menschen in Angola haben durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg gelernt, zusammenzuleben um zu überleben, sagt der Schriftsteller im Gespräch mit Michael Vosatka. Fonseca Santos las Anfang des Jahres in Wien aus seinem Roman Os Caminhos da Terra (Der Lauf der Welten).

derStandard.at: Sie sind in Umbundu, der Sprache der Ethnie der Ovimbundu aufgewachsen, welche Bedeutung hat dieser Umstand für Sie?

Fernando Fonseca Santos: Meine Eltern hatten eine Sisal-Plantage auf dem Land. Ich bin mit den einheimischen Kindern aufgewachsen, es gab auch außer mir keine Kinder europäischer Herkunft, auch alle Angestellten waren Einheimische. Es war für mich ganz normal, mit Umbundu großzuwerden. Auch als ich später in die Stadt kam, hielt ich den Kontakt aufrecht. Das Interesse für eine Sprache bedeutet auch das Interesse für die Kultur und die Denkweise. Als 1961 der Kampf um die Unabhängkeit von Portugal begann und in der Folge Spaltungen stattfanden, wollte ich die Gründe wissen und was die Bevölkerung darüber denkt. Für mich war es jedenfalls immer eine gleichberechtigte Kultur: Ich denke auf Umbundu.

derStandard.at: Was bedeutet die Herkunft im Bezug auf das Verständnis ihrer Identität auf den Ebenen der sprachlichen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit?

Fonseca Santos: Ethnisch bin ich natürlich Europäer, das sieht man. Aber für mich war immer die Liebe zum Land prägend. Die angolanische Seite überwiegt in mir gegenüber der europäischen Seite. Auf einer politischen Ebene ist sozusagen Portugal mein Vaterland, Angola mein Mutterland. Meine Romane sind kulturell gesehen angolanisch. Wenn etwas Politisches darin zu finden ist, dann ist das durch die handelnden Personen geprägt, als Autor mache ich in meinen Werken keine politischen Aussagen. Es ist L’art pour l’art, Kunst um der Kunst willen.

derStandard.at: Für den kommenden Herbst sind die lange Zeit verschobenen Parlamentswahlen geplant, sehen Sie dabei die Gefahr, dass die Konflikte wieder aufbrechen, etwa an ethnischen Differenzen wie zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen in Kenia?

Fonseca Santos: Kulturell habe ich mich natürlich immer den Ovimbundu verbunden gefühlt, aber schon von Jugend an ein Bewusstsein der Zugehörigkeit zu Angola entwickelt. So fühlt auch der Großteil der Bevölkerung. Heute ist diese bedingt durch den Bürgerkrieg in den Städten an der Küste konzentriert. Das hat ein Verständnis für die Notwendigkeit des Zusammenlebens um zu überleben bewirkt. Durch den dialektischen Prozess kommt Gemeinsames stärker hervor, für die kulturelle Synthese sorgt die gemeinsame Sprache, das Portugiesische. In Angola hat nie eine Sprache einer einheimischen Ethnie Priorität gegenüber einer anderen erhalten. Während des ganzen Krieges gab es immer auch den Kampf um die "Angolanidade", die angolanische Identität. Das wurde nicht auf einer ethnischen Ebene diskutiert.

derStandard.at: Entwickelt sich in Angola eine eigene Form des Portugiesischen, ähnlich dem Prozess der Sprachentwicklung in Brasilien?

Fonseca Santos: Das Portugiesisch in Angola entspricht wie jenes in Brasilien in weiten Teilen dem in Portugal, das angolanische Portugiesisch ist genauso ein Teil der portugiesischen Sprache wie Brasilianisch. Das Angolanische hat natürlich im Lauf der Zeit eine eigene Richtung eingeschlagen, einerseits in der Phonetik, Aussprache und Betonung sind teilweise anders. Zweitens gibt es einen Austausch des Vokabulars, Worte aus dem Umbundu oder Kimbundu sind ins Portugiesische übergegangen und umgekehrt. Umbundu ist teilweise auch präziser als Portugiesisch, so gibt es zum Beispiel 15 unterschiedliche Begriffe für den Tod, es wird zwischen dem natürlichen Tod, dem gewaltsamen Tod und so weiter unterschieden, während andere Sprachen diese Differenzierungen mit mehreren Worten umschreiben müssen.

derStandard.at: In welchen Wechselbeziehungen steht die angolanische Literatur mit der Literatur Portugals?

Fonseca Santos: Es gibt sicher exzellent gedachte Intentionen, aber praktisch gesehen findet auf kultureller Ebene gar kein Austausch statt. Die angolanische Literatur ist eine eigenständige.

derStandard.at: Schriftsteller und Intellektuelle waren maßgeblich an der Unabhängigkeitsbewegung seit den 1960er Jahren beteiligt. Welche Rolle kann die heutige Generation der Literaten für den Friedensprozess spielen?

Fonseca Santos: Ich möchte darauf etwas kontrovers antworten: Wer wirklich die Unabhängigkeit und auch den Krieg herbeigeführt hat, war die Bevölkerung. Die Einwohner haben sich mit der MPLA (Agostinho Netos marxistische "Volksbewegung für die Befreiung Angolas", Anm.) identifiziert und diese an die Macht katapultiert. Die Intellektuellen spielten eine relevante, aber nicht ausschlaggebende Rolle. Den neuen Intellektuellen möchte ich empfehlen, herauszufinden, was das Volk fühlt, denkt, leidet und will und dann das ganze ästhetisch auf allen Ebenen der Kultur, in Musik, Literatur und Film zu behandeln, aber nicht aktiv politisch. (red/derStandard.at/23.1.2008)