Enno Bunger: "Ein bisschen mehr Herz" (Pias 2010)

Coverfoto: PIAS

So aus dem Stand ein TV-Vollprogramm aus dem Boden zu stampfen ist keine leichte Aufgabe - erst recht wenn es in erster Linie von Nicht-Profis gestaltet wird. Der Kabelsender "okto" war gut beraten, auch Formate von anderen partizipativen Sendern im Ausland, die schon etwas länger bestehen, mitaufzunehmen.

Da ist mir jedenfalls im vorigen Jahr zum ersten Mal Enno Bunger untergekommen: Aufzeichnung aus dem Berliner Café Edelweiß, wo Konzerte ohne großen technischen Aufwand in Wohnzimmer-Atmosphäre stattfinden. Ein noch ziemlich junger Mann betritt die kleine Bühne, stellt sich - auch wenn er diesmal solo unterwegs ist - als Kopf einer Band aus Ostfriesland vor, die seinen Namen trägt, hämmert ins Keyboard, singt mit klarer Stimme und in schnörkellosen Worten (darunter "Herz" ein oft wiederkehrendes, ohne dass es Liebeslieder wären) und entwickelt dabei eine Intensität, die wirklich beeindruckend ist. Wow.

Kurzerhand Name notiert und losgegoogelt: Seit 2007 gibt es Enno Bunger als Trio, mit Bernd Frikke am Bass und Nils Dietrich am Schlagzeug. Auf Gitarren wird bewusst verzichtet, was nicht zuletzt zu den unvermeidlichen Keane-Vergleichen geführt hat. Zwei EPs waren zu dem Zeitpunkt bereits heraußen, allerdings leider vergriffen - dafür aber das erste Album für heuer angekündigt, und da ist es nun. Produziert von Oliver Zülich, der in Zusammenarbeit mit beispielsweise Slut oder den Ärzten in genau dem Marktsegment gearbeitet hat, in dem MusikerInnen mit Independent-Wurzeln so richtig erfolgreich werden.

Enno Bunger: "Herzschlag"

Song 9, "Wahre Freundschaft", demonstriert in beispielhafter Weise, welchen Spagat die Band damit angeht (und auch bewältigt): Der Song läuft lange Zeit reduziert wie beim Solo-Auftritt dahin, um dann in den pompösesten Chorteil des gesamten Albums umzukippen; mit einem immerhin 36-kehligen Ensemble. Es sind die "großen Momente", von denen Enno Bunger sprechen und die klarmachen, dass dies Pop und nicht die Singer-Songwriter-Schiene ist. Wie auch das Finale mit Horn bei "Weltuntergang" oder die bombastische Bridge der Vorab-Single "Herzschlag", in der nicht einmal die paar Vangelis-artigen Keyboard-Akkorde stören.

Mit "Herzschlag" begeben sich Enno Bunger dorthin, wohin sich zuvor Blumfeld mit "Tausend Tränen Tief" oder Kante mit "Im ersten Licht" gewagt haben und wohin alle diejenigen, die unter Zynismus leiden, nicht folgen können. Songwriting-Veteran Bernd Begemann hat vor einiger Zeit in einem Interview beklagt, dass ebendiese sich selbst absichernd zynische Haltung verhindert, einen großen Pop-Song wie Echts "Du trägst keine Liebe in dir" als Klassiker anzuerkennen, nur weil er von einer ehemaligen Teenie-Band stammt und sich in Sachen ausgelebtes Gefühl kein Blatt vor den Mund nimmt. 

"Heute stehn wir auf der Klippe, heute springen wir ab"

Offen und unabgesichert sind auch Bungers Texte, wenngleich - trotz hoher "Herz"-Frequenz - kein einziges wirkliches Liebeslied darunter ist. Vielmehr geht es um Ablegen der Larmoyanz, ein neues Kapitel schreiben, 100 Prozent geben, ganz hoch hinauswollen ... und um Beistand, wo's nicht klappt. Wo sich Bunger dann auch nicht scheut, die alten Oma-Trostworte Es ist alles kein Weltuntergang zu verwenden. Wie gesagt: Keine Verschlüsselung, sondern klare Worte. Darunter auch mal einfach ein "Danke" zum Abschied - viel zu selten, dass man sowas sagt.

Je intimer - soll heißen: je klarer an der Ich & Du-Perspektive gehalten - die Texte sind, desto stärker wirken sie auch - mehr als wenn von den Menschen im Allgemeinen die Rede ist, was nach jugendlicher Vogelperspektive klingt und sich wohl im Lauf der Zeit noch verlieren wird. Soviel zum Spannungsfeld von Intimität und großer Geste auf der inhaltlichen Ebene - auf der musikalischen ist es reine Geschmacksfrage. Hier reicht der Bogen von Kante bis Coldplay. Was nicht zuletzt heißt: Da ist jede Menge drin. (Josefson)