Wieder einmal flackert die Diskussion über Studiengebühren auf. Dabei lohnt es sich, ein paar Zusammenhänge herzustellen.

Ein wiederkehrendes Argument "pro Studiengebühren" aus Wirtschaftskreisen ist etwa, dass beim freien Hochschulzugang die Wenigverdiener auch das Studium für die Kinder der Besserverdiener finanzieren. Der Fall ist ähnlich gelagert wie die von Zeit zu Zeit in Österreich aufflackernde Diskussion über Gratis-Öffis. Auch hier lautet das Totschlag-Argument (das auch in diesen Debatten vor allem aus wirtschaftsnahen Kreisen immer wieder zu hören ist): Gratis-Öffis wären eine Umverteilung von unten nach oben; eine ungerechte Bevorzugung der Wohlhabenden, weil die einfach öfters unterwegs seien. Quasi: Maurer Franz zahlt dem Doktor Rudolf die Dienstreise und das Studium seiner Kinder.

Abgesehen davon, dass Gratis-Öffis ein echter Meilenstein in Sachen Umweltpolitik wären, werden dabei meist zwei Dinge übersehen: Für das Einkommen des Maurer Franz ist eine Bahnkarte eine größere Herausforderung als für jenes des Doktor Rudolf. Ebenso verhält es sich mit den Kosten für ein Studium der Kinder der beiden - Studienbeihilfen (die meist ohnehin gering sind) hin oder her. Und: Weil sowohl die Unis als auch Ausbau und Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel aus allgemeinen Steuertöpfen finanziert werden, wurden die beiden ohnehin - jeder nach seinen Möglichkeiten - dafür schon zur Kasse gebeten.

Dass die notwendige Infrastruktur vorhanden ist, darüber wacht die Industriellenvereinigung (IV) mit Argusaugen. Vor einem Monat präsentierte Infrastrukturministerin Doris Bures ihre etwas zurechtgestutzten Ausbaupläne. Unter anderem dürfte der Koralm-Tunnel nun 2022 fertig werden und 5,2 Milliarden Euro kosten, der Semmering dürfte bis 2024 untertunnelt sein und wird mit 3,1 Milliarden etwas günstiger. IHS-Chef Bernhard Felderer, immerhin Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses, hat dem wild umstrittenen Tunnel unter der steirisch-kärntnerischen Koralpen-Region noch dazu erst vor wenigen Wochen quasi die Absolution erteilt. Es handle sich bei Infrastrukturvorhaben im Allgemeinen nämlich um "langfristige Zukunftsinvestionen, die den kommenden Generationen zugute kommen". Ja, eh.

Auch die Reaktionen aus der Industrie auf das von Bures präsentierte Paket ließen nicht lange auf sich warten: "Infrastrukturausgaben sind Zukunftsinvestitionen in den heimischen Standort", hieß es, und sie seien ein "wichtiger Impulsgeber für private Folgeinvestitionen wie Betriebsansiedlungen entlang leistungsfähiger Verkehrsachsen", stellte IV-Vizepräsident Peter Koren fest. Einerseits.
Andererseits würde damit auch "Planungssicherheit für die investierende Industrie" geschaffen. Und Koren merkte dazu kritisch an: "Eine zeitliche Verschiebung von bestimmten Infrastrukturinvestitionen ist gleichzeitig eine Verschiebung von Wachstumsimpulsen, die der Industriestandort Österreich gerade jetzt dringend braucht."

Wenn also 2022 die ersten Klagenfurter Studenten durch den Koralmtunnel nach Graz an die TU zum Studieren fahren, können sie schon von der um 100 Minuten auf genau eine Stunde verkürzten Fahrzeit profitieren. Tägliches Pendeln zahlt sich dann schon aus. (Über die freie Grazer Studentenwohnung freut sich eine junge Linzerin; der Direktzug von Linz nach Graz wurde nämlich soeben eingestellt.) Wenn sie später für ihre Diplomarbeit auch zur Nationalbibliothek nach Wien müssen, wäre es gut möglich, dass sie auch zwischen Mürzzuschlag und Gloggnitz schon um 30 Minuten schneller sein werden als die Generation vor ihnen.

Nur in diese beiden Tunnels fließen rund 700 Millionen Euro - jedes Jahr. Das allein ist schon ein Viertel des Uni-Budgets. Das gesamte Straßen- und Schienen-Ausbaupaket umfasst 18 Milliarden Euro nur für die nächsten sechs Jahre - Investitionen, die von der Industrie geradezu ultimativ (Stichwort: Arbeitsplatz-Keule) eingefordert werden und von denen sie wie selbstverständlich profitiert, ohne direkt mitzahlen zu müssen. Hier liegt die wahre Umverteilung begraben.

Der Soziologe Ingolf Erler weist in einem aktuellen Blog-Eintrag im Zusammenhang mit den Studiengebühren darauf hin: "Gut ausgebildete Menschen stärken die Wirtschaft, schonen Sozial- und Gesundheitskosten, stärken das Gemeinschaftsgefühl, sind Motoren der Innovation. (...) Wenn Bildung so viele positive Eigenschaften hat, (...) warum werden eigentlich immer diejenigen dafür gestraft, die sich weiterbilden wollen?"

Erlers Konsequenz: Die Profiteure einer "gebildeteren" Gesellschaft sollen zahlen. Ergo: Statt Studiengebühren lieber eine Bildungssteuer einführen - aber nicht für Studierende, wie von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im September laut angedacht, sondern für Unternehmen sowie Besserverdienende. Denn dass in der heutigen Gesellschaft Bildung, Wissenschaft und Forschung groß geschrieben werden müssen, das postuliert schließlich auch die IV immer wieder. (Martin Putschögl, derStandard.at, 15.12.2010)