Fast die Hälfte aller Eltern von Schulkindern muss regelmäßig über den Schulheften nachsitzen und mitbüffeln.

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Die Eltern waren nicht faul in der Bildung, aber die Eltern sollen sich mehr einbringen." Zum Beispiel? "Dass mit den Kindern Hausaufgaben gemacht werden." Sprach Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) - und irritiert damit nicht nur Familienvertreter, sondern auch Bildungs- und Familienforscher.

"Relativ kritisch" beurteilt die Forderung nach mehr elterlichem Schulengagement Sabine Buchebner-Ferstl vom Österreichischen Institut für Familienforschung an der Uni Wien: "Sehr viele Eltern werden entsetzt sein, wenn sie das hören. Vor allem in Österreich sind sie sowieso schon sehr eingespannt, was Hausaufgaben betrifft, das geht so weit, dass Frauen sogar ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder aufgeben, um ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen", sagt die Psychologin. Daher wäre es wichtig, dass die Schuldebatte nicht zuerst bei den Eltern lande, sondern "beim System". Ganztagsschulen würden "die Familien entlasten, weil die Hausaufgaben schon in der Schule gemacht werden". Jetzt dagegen seien "die Hausübungen oft die Leistung der Eltern und , überraschenderweise' sind die Tests der Schüler dann schlecht", erklärt die Familienforscherin.

Das kennt auch der Präsident der größten parteiunabhängigen Familienorganisation, des Katholischen Familienverbands, Clemens Steindl, der Karls Eltern-Aktivierungsaktion nicht goutiert. "Eltern nehmen sich in die Pflicht und werden von der Schule auch häufig in die Pflicht genommen für kostenlose Nachhilfe."

Laut einer Karmasin-Umfrage für den Familienverband hilft fast die Hälfte (46 Prozent) der Eltern regelmäßig bei der Hausübung. "Das wäre Pflicht der schulischen Institutionen." Nur 19 Prozent der Eltern fühlten sich bei der Kindererziehung von der Politik gut unterstützt. "Das hat mit der leidigen schulpolitischen Debatte zu tun, bei der nur mit Wortkeulen aufeinander eingedroschen wird, statt über Inhalte zu reden", kritisiert Steindl. Ein Inhalt ist für ihn klar: "Angebote müssen sicher in Richtung Ganztagsschule kommen."

Dann müssten die Eltern aber noch immer dafür sorgen, dass ihre Kinder auch tatsächlich hingehen, sagt VP-Wissenschaftssprecherin Katharina Cortolezis-Schlager. Sie mahnt eine "klare Verantwortungsteilung" ein: Die Schule sei für "Lernprozesse und Bildung" zuständig, die Eltern dafür, "dass die Kinder in die Schule gehen, ausgeschlafen sind und aktiv teilnehmen können". Vor allem in Wien gebe es eine "steigende Zahl an Schulpflichtverletzungen", also dass Kinder nicht oder zu spät in die Schule kommen. Da seien sehr wohl auch die Eltern gefordert. 2008 folgten auf 1133 Anzeigen wegen Verletzung der Schulpflicht in Wien 646 Straferkenntnisse, geht aus einer parlamentarischen Anfrage an das Unterrichtsministerium hervor.

Für Stefan Hopmann, Bildungswissenschafter an der Uni Wien, ist die "entscheidende Herausforderung" in der Schulpolitik eine ganz andere: "Sind wir bereit, Ressourcen da hinzugeben, wo sie fehlen - zu den Kindern, die keine Eltern haben, die mit ihnen lernen, nicht weil sie nicht wollen, sondern nicht können, die ihre Kinder nicht mit Kultur vertraut machen etc. Sind wir bereit umzuverteilen?" In der Spitzengruppe liege Österreich sehr gut, aber "die 20 bis 25 Prozent unten sind das Problem". Diese Kinder bräuchten "langfristige Lernbegleitung", fordert Hopmann: "Wir brauchen diese Umverteilung."(Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 12.1.2011)