Ein arabischer Israeli jätet Unkraut auf dem jüdischen Friedhof am südlichen Ölberg.

Foto: Sascha Aumüller

Anreise: z. B. siebenmal wöchentlich mit El Al von Wien nach Tel Aviv.

Foto: Sascha Aumüller

Unterkunft: Mamilla Hotel - schickes Haus mit feinem israelischem Frühstück, in Gehdistanz zur Altstadt von Jerusalem. In Tiberias am See Genezareth: Das 1894 als Krankenhaus errichtete und 1999 zum Luxushotel umgestaltete Scots Hotel - nach wie vor im Besitz der Kirche von Schottland.

Foto: Sascha Aumüller

Infos zum Pilgerpfad "Gospel Trail" und andere hilfreiche Broschüren: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro, Friedrichstraße 95, 10117 Berlin; info@goisrael.de; www.goisrael.de

Grafik: DER STANDARD

Nichts, aber schon gar nichts ist in Stein gemeißelt in Jerusalem. Da diskutiert doch gerade eine britische Reisegruppe - 2011 und angeblich Anno Domini - allen Ernstes vor dem Herodes-Tor über authentisches Pilgern. Ob es nicht "richtiger" wäre, den Kreuzweg vielleicht außerhalb der alten Stadtmauern zu begehen. Dort nämlich, glauben auch diese Mitglieder der anglikanischen Kirche, sei auch Jesus mit dem Kreuz viel wahrscheinlicher gegangen als auf der heutigen Via Dolorosa.

Archäologisch Andersgläubige beginnen die leidige Suche nach dem originalen Leidensweg dagegen wie gewohnt: vor der muslimischen Mädchenschule Omariya in der Altstadt und dann schön brav den Dolorosa-Schildern in Richtung Grabeskirche folgend. Doch auch sie werden noch Grund genug haben zum Zweifeln. Sind die pinkfarbenen Bauchtänzerinnen-Tops, die heute gleich neben der sechsten Kreuzwegstation um 80 Schekel verscherbelt werden, wirklich beste lokale Handarbeit? Das außerordentliche Verhandlungsgeschick des arabischen Verkäufers legt jedenfalls nahe, dass die "heilige Stadt" schon von jeher auch ein großer Basar ist, auf dem um Waren gleichermaßen gefeilscht wird wie um Dogmen.

Ohne jeden Zweifel gehören christliche Pilgerreisen nach Israel bis in die Gegenwart zu den Wachstumsmotoren der boomenden Tourismusbranche. Und selbst jene Christen (insgesamt sind es fast 70 Prozent aller Touristen nach den akribisch gestalteten Einreiseformularen, auf denen auch das Religionsbekenntnis angegeben werden muss), die keineswegs als engagierte Gläubige kamen, werden bald schon die Sinnfrage stellen: Warum etwa die Episode mit den britischen Kreuzwegkorrektoren zwar für die meisten von uns wie eine Szene aus Monty Pythons Leben des Brian wirkt - aber eben nur für die meisten? Der Psychiater Mosche Kalyan kann's einem ansatzweise erklären, zumindest wenn man das Masel hat, ihm zufällig im Nobelrestaurant Canela zu begegnen.

Jerusalem-Syndrom

Rund fünfzig Touristen pro Jahr muss Kalyan kurzfristig in die psychiatrische Klinik des Distrikts Jerusalem einweisen, weil sie sich vor der überwältigenden Kulisse dieser Stadt sogar krankhaft mit einer biblischen Figur identifizieren. Jerusalem-Syndrom nennt sich das im Jargon, und es bezeichnet eine anerkannte akute psychotische Störung, die Kalyan seit den 1970er-Jahren erforscht. "Ich kann mich an einen Fall erinnern, der wird Sie interessieren", erzählt er, "vor einigen Jahren war hier ein Österreicher, der in seinem Hotel schnurstracks in die Küche ging und Befehle erteilte. Als ihn der Chefkoch zur Rede stellte, erklärte der Tourist, er müsse die Zubereitung seines "Letzten Abendmahls" überwachen. Das klingt lustiger, als es ist - der Mann glaubte natürlich wirklich, Jesus zu sein, und musste zehn Tage behandelt werden."

Es sind wohl diese schlechten Erfahrungen mit der Allmacht einer Kulisse gewesen, die selbst eine der ältesten Bars in Jerusalem dazu brachte, ihren Namen zu ändern. "Syndrome" nannte sich das Etablissement in den ersten schwierigen Jahren angewandter Schnapsglaspsychologie - nunmehr heißt es schlicht "Mia".

Zu "Mia" in der pulsierenden Hillel- Straße pilgern heute vor allem Menschen, die sich nicht an den im engeren Sinn spirituellen Stationen dieser Stadt orientieren. Oder überhaupt Orientierungslose, die sich vor den Betreibern einfach nur verlässliche Empfehlungen für ein, nennen wir's, ortsuntypisches Programm holen wollen: Im "Hakatze", nur wenige Straßen weiter, kann man das finden. Die Travestie-Show, die dort mit Unterstützung einer häufiger in Tel Aviv aktiven Equipe geboten wird, hilft einem dabei, den schwierigen interreligiösen Dialog in dieser Stadt von einer völlig neuen Seite zu verstehen. "Unsere Freunde spielten dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle", erzählt eine Dame von der Bühne: "Weil sie hier die Gay-Parade organisierten, haben sich erstmals ultraorthodoxe Juden und Muslime zusammengetan. Gemeinsam trieben sie am Vorabend der Parade ihre Esel aus Protest zum Scheißen durch die Straßen." Ernsthaftes Kabarett passiert in dieser Stadt offensichtlich auch in ihrem einzigen Cabaret.

Zarter besaitete und spirituell angetriebene Pilger - oder auch nur engagierte Geher auf der Suche nach einem herrlichen Hatscher - finden jedenfalls weit außerhalb von Jerusalem eine versöhnlichere Variante des interkulturellen Dialogs. Vor den Toren Nazareths, ganz oben auf einem schroffen Abhang, beginnt seit wenigen Wochen ein neu errichteter Wanderpfad und führt auf einer Distanz von 60 Kilometern bis zum See Genezareth. Dabei ist dieser "Gospel Trail", der die meisten wichtigen Wirkungsstätten Jesu miteinander verbinden soll, zuallererst eine ruhigere Konkurrenz zu dem hier schon gut bekannten "Jesus Trail". Letzterer zeigte seine kommerzielle Ausrichtung zum Missfallen einiger Pilger nicht mehr nur durch die Trademark nach dem geschützten Namen - Dornenkränze hier und Jordanwasser da waren unterwegs schon fast überall zu kaufen.

Auf der neuen Route hingegen gibt es entlang des Weges etwas zu erfahren, das für das heutige Israel ohnehin wichtiger ist als das Feilschen um die geografisch korrekte Positionierung von Mythen: Jüdische, arabische und christliche Israelis betreiben die einfache Infrastruktur aus Labestationen und "Zimmers", wie die Privatpensionen hier heißen, nach erheblichen Startschwierigkeiten gemeinsam. Und sie sorgen dafür, dass die Herbergssuche deutlich einfacher ausfällt als noch vor zweitausend Jahren. (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Rondo/21.10.2011)