Traditionalist mit Hang zum Punk: Howe Gelb.

Foto: Fire Records

Giant Giant Sand: Für sein jüngstes Projekt hat Howe Gelb die dänische Stammbesetzung seiner Band Giant Sand um Musiker aus einer Heimatstadt Tucson erweitert.

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Giant Giant Sand "Tucson" (Fire Records)

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Wien - "A Country Rock Opera" nennt Howe Gelb sein jüngstes Werk "Tucson", das er mit seiner aufgestockten Band Giant Giant Sand nun auch in Wien live vorgestellt hat. Was es damit auf sich hat, warum er den Begriff "Desert Rock" nicht mag und in Rainer Ptacek einen großen Bruder gesehen hat, hat der für seine Improvisationslust bekannte Musiker aus Arizona derStandard.at im Interview erzählt.

derStandard.at: Wie wurde aus Ihrer Band Giant Sand die X-Large-Version Giant Giant Sand?

Gelb: Ich plane nichts, weil wenn ich etwas plane, passiert dann ohnehin etwas anderes. Die vergangenen zehn Jahre habe ich keine Musik in Tucson gemacht, sondern in Dänemark, Spanien, Kanada und sogar in Wien, wo ich ein Album mit Radian aufgenommen habe, das demnächst erscheinen soll. Letztes Jahr bin ich mit Musikern bei einem Festival in Berlin zusammengekommen, und es gab genügend Zufälle, dass wir dachten, wir sollten das wiederholen. Nach einem weiteren Auftritt in der Schweiz gingen wir ins Studio, um zu schauen, wie das klingt. Das Schöne für mich war, dass es mich dazu gebracht, wieder in Tucson Musik zu machen. Mit den zusätzlichen Musikern von dort hat sich die Band verdoppelt. Das Album ist eine Hommage an Tucson, mir wurde wieder bewusst, wo ich lebe.

derStandard.at: Zufälle und Improvisation spielen auch in Ihrer Musik eine wichtige Rolle.

Gelb: Das ist der Weg, für den ich mich entschieden habe, weil ich es aufregender und interessanter finde, zu improvisieren, manchmal auf extreme Weise, manchmal sehr subtil. Das reicht davon, dass ich einen Song auf der Bühne erfunden und so gespielt habe, als würde ich ihn schon immer kennen, bis zum allabendlichen Verändern von Songs, um zu schauen, was man damit machen kann. Ich habe das noch mehr gemacht, als ich jünger war, jetzt genieße ich es, den Songs ihre Entwicklung zu lassen und sie nicht mehr so schnell zu verändern. Ich denke, das hat mit dem Alter zu tun.

derStandard.at: Mit einer so großen Band wie Giant Giant Sand ist wohl auch schwieriger zu improvisieren?

Gelb: Ja, und für mich hört es sich ohnehin jeden Abend anders an. Manchmal lese ich, dass Leute diese Musik seltsam finden. Für mich war sie nie sonderbar, nur reduziert. Es liegt an den Hörern, die Lücken auszufüllen.

derStandard.at: Ihre Musik wurde oft als "Desert Rock" bezeichnet. Was halten Sie davon?

Gelb: Ich mache mich gerne lustig darüber, indem ich unsere Musik "Erosion Rock" nenne: Ein erodierter Stein wird zu Sand, vielleicht zu großen Sandstücken - schon hat man den Namen "Giant Sand". Wie Musik ändert sich die Erosion jeden Tag, durch den Regen, den Wind, die Sonne. Das ergibt Sinn für mich. Aber "Desert Rock"? Das ist ein romantisches Klischee.

derStandard.at: Punk war sehr wichtig für Sie?

Ja, das war die Zeit, als ich aufwuchs und zu spielen begann. Die Musik wurde in den 70er Jahren zum großen Geschäft. Als Bob Dylans "Blood on the Tracks" 1975 rauskam, war das großartig, ebenso Neil Youngs "Zuma". Aber es gab keine große Auswahl. Als Punk 1977 alles aufmischte, war das eine große Erleichterung. Es ging in der Musik mehr um die Haltung als um die technischen Fähigkeiten. Und dann hörte ich dieselbe Haltung in alter Country Music. Es ist ganz offensichtlich: Johnny Cash war ein Punk-Rocker!

derStandard.at: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Country-Rock-Oper aufzunehmen?

Gelb: Wenn ich ein Album höre, neige ich üblicherweise dazu, die Songs in einen narrativen Zusammenhang zu bringen. Es ist wie, wenn man den Film eines bestimmten Regisseurs sieht, der von einer eigenen Logik durchzogen ist. Das beste Beispiel für mich ist "Ziggy Stardust": David Bowie hat nie gesagt, dass es ein Konzeptalbum ist, aber wenn man es hört, ist es eine ganze Geschichte mit Anfang und Ende. Deswegen habe ich mir gedacht, ich könnte die Liner Notes verbessern, indem ich schnell eine Geschichte erfinde und die Songs in die richtige Ordnung bringe.

derStandard.at: Sie haben die Rahmenhandlung also erst nach den Songs geschrieben.

Gelb: Ja. Ich nehme sehr schnell auf und gehe die Dinge spontan an, und ich wollte das im selben Geist machen und nicht lange herumdoktern.

derStandard.at: Ein Song auf "Tucson", den Sie nicht selbst geschrieben haben, stammt von "The Last Waltz" von The Band. Warum haben Sie Robbie Robertsons "Out of the Blue" ausgewählt?

Gelb: Ich habe ihn durch Zufall entdeckt und gedacht, er sei heute geschrieben worden, er hört sich wie ein moderner Song an. Es war das erste Mal, dass Robbie selbst gesungen hat, und es ist schön, wie er mit der Stimme hochgeht, die Geschichte des Songs. Als wir im Studio waren, war das so eine Idee, wie sie manchmal daherkommen: 'Lasst uns ausprobieren, ob wir diesen Band-Song hinbekommen.' Jeder singt bei dem Song. Überhaupt sind die aktuelle Band und das Album ein Gemeinschaftsprojekt. Ich mag es initiiert haben, aber es gibt keinen Boss, jeder der Musiker hat seine eigene Band. Es gibt all diese Bands innerhalb der Band.

derStandard.at: The Band galt immer als Paradebeispiel für ein Musikerkollektiv ohne Frontman. Sie haben ja auch schon den berühmtesten Song der Gruppe, "The Weight", gecovert.

Gelb: Jeder, der eine bestimmte Band mag, hat dieselbe Musiksammlung, egal in welches Land man kommt. Wenn wir auftreten und irgendwo spielen, bin ich mir sicher, dass die Leute zu 90 Prozent dieselben Alben zuhause stehen haben.

derStandard.at: Ist es das, was Sie einmal als "sonic nations" bezeichnet haben?

Gelb: Ja genau. Es geht um ähnliche Geschmäcker und Denkweisen.

derStandard.at: Vor Kurzem wurde "The Inner Flame", das von Ihnen mitinitiierte Tribute-Album für den 1997 an einem Gehirntumor verstorbenen Singer/Songwriter Rainer Ptacek wiederveröffentlicht. Was war das Besondere an ihm?

Gelb: Als ich ihn getroffen habe, war ich 19 und er 24. Meine Eltern waren geschieden, und ich hatte keine starke Vaterfigur. Mein Großvater kam aus Österreich, aber er war krank als er in Pennsylvania ankam und starb 26-jährig. Mein Vater war ein guter Kerl aber kaum da. Als ich Rainer traf, war er wie ein großer Bruder für mich, was ich irgendwie brauchte. Als wir das erste Mal miteinander jammten, spielten wir einen G-Akkord mit nur minimalen Veränderungen 45 Minuten lang. Es war verrückt, aber es war O.K. für ihn, und es war O.K. für mich. Es hat sofort gepasst. Ich habe österreichische Wurzeln, und er hatte deutsch-tschechische Wurzeln, wir waren in derselben Nachbarschaft.

derStandard.at: Sie sind schon öfter mit John Paul Jones, dem einstigen Bassisten von Led Zeppelin, aufgetreten. Wie kam es dazu?

Gelb: Wenn man auf Tour ist, kreuzen sich die Weg mit bestimmten Leuten. In diesem Fall war es Robyn Hitchcock, durch den ich John Paul Jones kennen gelernt habe. Ich war ein großer Led-Zeppelin-Fan, und Robert Plant hat geholfen, "The Inner Flame" zusammenzustellen, weil er Rainer geliebt hat.

derStandard.at: Was halten Sie von Musikdownloads?

Gelb: Es ist eine bequeme Art und Weise, um etwas auf den iPod zu überspielen, mitzunehmen und reinzuhören. Ich denke, das ist wichtig, weil es sich niemand leisten kann, all diese Musik zu kaufen, um rauszufinden, dass sie einem nicht gefällt. Es gibt ja normalerweise keine Rückgabegarantie für Musik. Wenn man sie gratis bekommt, kann man reinhören, und wenn man sie mag, sollte man sich etwas gönnen und zu Vinyl greifen. Den Vinyl-Sound kann man nicht herunterladen. Downloads haben aber auch für die Live-Musik Konsequenzen, weil sich mehr Leute deine Sachen anhören, merken dass du noch lebst und deine Musik Wert hat, so dass sie ins Konzert kommen.

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, dass die Rock-Musik interessanter ist, wenn in den USA Republikaner als Präsidenten im Amt sind. Ist dem so?

Gelb: Mir ist dieser Zusammenhang aufgefallen, um irgendetwas Positives daran zu finden, wenn man schon mit so einer Regierung zu tun hat. Was ist das Gute daran? Unsere Gegenbewegung wurde lebhafter.

derStandard.at: Ihr Tipp für die Präsidentschaft?

Gelb: Ich weiß es nicht, es wird knapp. Die Republikaner sind trickreicher. Obama hat einen unmöglichen Job. Ich finde nicht, dass er großartig ist, aber er ist viel besser als alle anderen.

derStandard.at: Treten Sie lieber in Europa oder in den USA auf?

Gelb: Ich habe das Touren in Europa immer mehr genossen, weil der Standard höher ist. In den meisten Ländern gibt es Fördergelder, so dass bessere Gagen gezahlt werden können und man bessere Tonanlagen und Orte wie die Arena in Wien vorfindet. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Musik weitergeht, weil man Touren und das nächste Album herausbringen kann. Aber in den Staaten, genieße ich es, dass die Leute jede Kleinigkeit verstehen, was hier nicht immer der Fall ist. Ich sage manchmal ziemlich komische Sachen, und niemand versteht sie (lacht).

derStandard.at: Niemand lacht in Europa?

Gelb: Doch, aber es ist ein nervöses Lachen. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 15.8.2012)