"All work and no play makes Jack a dull boy": Jack Nicholson als dem Wahnsinn verfallener Autor in "The Shining".

Foto: Viennale

Die Dokumentation "Room 237" geht den Verschwörungstheorien nach.

Die Filmgeschichte hat immer wieder Werke hervorgebracht, die ein seltsames Eigenleben führen. Stanley Kubricks The Shining gehört dahingehend zu den schillerndsten Beispielen. Der Horrorfilm nach dem Roman von Stephen King sorgte schon im Entstehungsjahr 1980 für Verwunderung: Was will der Regisseur, der Dr. Strangelove, 2001 und Barry Lyndon hervorgebracht hat, mit einer Genregeschichte über ein abgeschiedenes Hotel in den Bergen, das seine Besucher auf mörderische Gedanken bringt?

Die Zweifel haben sich schnell verflüchtigt, sobald der Film in den Kinos lief. The Shining hat bleibende Wirkung hinterlassen und war - dabei höchstens mit Hitchcocks Psycho vergleichbar - einer Vielzahl interpretatorischer Anstrengungen ausgesetzt: von psychoanalytisch inspirierten, die in dem Film ein überspitztes Szenario vom Zerfall eines patriarchalen Familienmodells sehen, bis zu umfassenderen kulturkritischen. Das Overlook Hotel wird darin zum Symbol Amerikas und seiner inneren Dämonen, die sich nur dem offenbaren, der sich dafür empfänglich zeigt.

Dass es sich bei diesen akademisch orientierten Lesarten noch um die plausibelsten handelt, diesen Beweis erbringt der US-Dokumentarist Rodney Asher nun mit seiner Dokumentation Room 237 (der Titel bezieht sich auf jene Suite des Hotels, in der Schriftsteller Jack Torrance alias Jack Nicholson gewissermaßen auf die Urszene seines aufkeimenden Wahnsinns trifft). Asher geht jenen Lesarten von The Shining nach, die sich nur dem passionierten Fan aufdrängen: So fanden Shining-Forscher versteckte Anspielungen auf den Holocaust, eine Verdichtung von Native-American-Motiven, die auf die Morde an der indigenen Bevölkerung hinweisen sollen, oder auch Spuren dafür, dass Kubrick die Mondlandung inszeniert hat und nun sein Gewissen ein wenig erleichtern möchte. Dass die Bildanalysen dabei trotz Verlangsamung des Films nicht immer nachvollziehbar sind, sei einmal dahingestellt.

Interessanter als die Argumentationen (und die formale Bauart des Films) ist an Room 237 ohnehin das Phänomen selbst: Denn den Hype, den Marketing und PR heutzutage rund um einen Film inszenieren, erzeugte Kubricks The Shining zum überwiegenden Teil noch selbst, indem er mit archetypischen Bildern ans kollektive Unbewusste appellierte. Die Viennale zeigt Room 237 gemeinsam mit The Shining (leider nur in der kürzeren Fassung). Seien Sie gewarnt: Sie könnten lange beschäftigt sein! (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 25./26.10.2012)