Boxer hinten, Kofferraum vorn, dazwischen ein Lächeln: Klares Design macht den 911er zum Sportwagen schlechthin
Ansichtssache
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Guido Gluschitsch, Stefan Schlögl
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Boxer hinten, Kofferraum vorn, dazwischen ein Lächeln. 50 Jahre hat der Porsche 911 inzwischen auf dem runden Buckel. Eine klare Designsprache mit nur wenigen Ausrutschern macht ihn zum deutschen Sportwagen schlechthin
"Es tut mir im Herzen weh, dass der 996er so geschmäht wird", sagt der Porsche-Testfahrer. Er und der Porsche 911, gebaut Ende der 1990er-Jahre, stehen etwas abseits vor dem Porsche-Museum in Zuffenhausen. "Sie schimpfen ihn wegen der Scheinwerfer Spiegeleier-Porsche und hassen ihn, weil er der erste 911er mit dem wassergekühlten Boxermotor war. Dabei sieht man an diesem Auto die Kraft von Porsche am deutlichsten." Der 996er wurde zu einer Zeit entwickelt, als es Porsche hinten und vorn an Geld fehlte. Konstrukteure zeichneten mit dem Sparstift, den auch die Techniker als Schreibwerkzeug verwenden mussten.
"Das Auto fährt sich fantastisch, besser als jeder andere 911er davor. Und er ist noch dazu alltagstauglich." 300 PS holte der 996 aus dem 3,4-Liter-Boxer, ab 2002 verbaute Porsche einen mit 3,6 Liter Hubraum und 320 PS. Die Preise für gebrauchte 996er sind heute noch am Boden und markieren den idealen Einstieg in die erlesene 911er-Welt. Unser Testfahrer hat viel Zeit zum Philosophieren, denn die Menschentrauben, die stehen fernab von ihm, drüben, bei einem 911 Targa aus 1967.
Das Urmodell des 911 feierte am 12. September 1963 seine Weltpremiere bei der IAA in Frankfurt. Er war der dringend notwendige Nachfolger des 356, der mit dem 2,0-Liter-Vierzylinder an seine Grenzen stieß. Aus dem Prototyp T7 hatte Ferdinand Alexander "Butzi" Porsche damals den 901er gestaltet, das Vorserienmodell, das in Frankfurt ausgestellt wurde. 1964 begann die Serienproduktion des nunmehrigen 911er. Er hatte einen luftgekühlten 6-Zylinder-Boxer mit 130 PS und erreichte 210 km/h Höchstgeschwindigkeit.
1966 legte Porsche den Targa nach – ein Auto, das "weder Cabriolet noch Coupé, weder ein Hardtop noch eine Limousine, sondern etwas völlig Neues ist", wie Porsche damals vermeldete. Das Design mit den markant herausragenden Scheinwerfern und die Möglichkeit, sportlich zu reisen, schlugen ein.
Schwellende Radkästen
1972 folgte der erste Carrera RS. Aus 2,7 Liter Hubraum schöpfte der Boxer jetzt schon 210 PS. 500 Stück baute Porsche davon. Vor allem, um eine Rennwagen-Zulassung zu bekommen. Bereits ein Jahr später lief das G-Modell vom Band. Das Design wurde ständig markanter. Die hinteren Radkästen schwollen an, die Stoßstange mit den Faltbälgen wurde zum Blickfang. 150 PS leistete der zahmste 911. Der Carrera markierte vorerst die Spitze mit 210 PS.
1974 debütierte am Pariser Salon der 911 Turbo. Erst mit 260 PS, dann, ab 1978, mit der 3,3-Liter-Maschine und 300 PS. Auch wenn der bei Autoquartett-Spielern wegen seiner Leistung sehr beliebt war: Das echte Juwel des G-Modells war der Club Sport. Vor allem, weil der Turbo wegen seiner unbändigen Kraft sowieso als unfahrbar galt (und bis heute gilt).
Freudvolles Leiden
"Weniger ist mehr", das war der Arbeitstitel. Porsche reduzierte die Ausstattung, riss die Rücksitze, die Seiten- und Rückwandverkleidungen samt Dämmmaterial aus dem Wagen. So wurde der 231 PS starke Club Sport gleich um rund 100 Kilogramm leichter als der Carrera. Dieses Auto fährt sich auch für heutige Verhältnisse noch fantastisch. Für normale Menschen ist dieser Porsche aber heute schlicht unfinanzierbar, und so baut Porsche selbst Leichen des Club Sport wieder auf.
Mit dem Porsche 964 begann die technische Revolution. Von Allrad über Airbag bis ABS wurde alles im 911er verbaut. Die Leistung wuchs beständig, der luftgekühlte Boxer wurde wassermoderiert, und 2013 legt der 911 GT3 R der Baureihe 997 die Latte auf 500 PS. Bei so viel Renngenen in einem seriennahen Rennwagen kommt dann auch wieder unser Porsche-Testfahrer, den wir da bei der 50-Jahr-Feier kennengelernt hatten, ins Schwärmen und vergisst sein ungeteiltes Leid ob der Spiegeleier, an denen er lehnt.
Und Porsche? Gönnt sich zum 50er den neuen GT3 und GT3 Cup. 475 und 460 PS. Renngene? Aber Hallo! (Guido Gluschitsch, Rondomobil, DER STANDARD, 6.4.2013)
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