Amirul Haque Amin appelliert an die Verantwortung der Konzerne.

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Eine Textilarbeiterin wurde nach 16 Tagen lebendig aus den Trümmern der eingestürzten Textilfabrik geborgen. "Jeder muss seinen Anteil beitragen, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt", sagt Amin.

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STANDARD: Der US-Konzern Walt Disney hat nach dem verhee­renden Fabriksunglück von Savar ­angekündigt, seine Produktion in Bangladesch und vier weiteren "Hochrisiko"-Ländern zu stoppen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Amin: Nein, absolut nicht. Disney hat sehr lange in Bangladesch produziert und dank der niedrigen Kosten Millionen, vielleicht Milliarden US-Dollar verdient. Nun können sie die Produktion nicht einfach stoppen und die Arbeiterinnen und Arbeiter ihrem Schicksal überlassen. Das ist unverantwortlich. Verantwortlich wä­re, wenn Disney die Arbeitsbedingungen in Bangladesch verbessern würde.

STANDARD: Was würde geschehen, wenn andere Firmen dem Beispiel von Disney folgen?

Amin: Unzählige Fabriken müssten dichtmachen und Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter würden ihren Job verlieren. Sie würden noch mehr leiden als bisher.

STANDARD: Was sind die Forderungen der Gewerkschaften?

Amin: Wir haben zwei Hauptforderungen: bessere Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Die Branche muss für mehr Sicherheit in den Fabriken sorgen. Wir wollen, dass die Konzerne ein Abkommen zur Gebäude- und Feuersicherheit un­terschreiben, das 2012 ausgear­beitet wurde. Doch bisher haben nur zwei Firmen unterzeichnet - ein US-Hersteller und der deutsche Handelskonzern Tchibo. Die Gespräche dauern noch an.

Wir hoffen, dass sich nach der jüngsten Tragödie mehr Multis anschließen. Unsere zweite Hauptforderung sind faire Löhne, von denen die Arbeiter leben können. Heute bekommt ein ungelernter Helfer gerade 3000 Taka monatlich. Das sind umgerechnet nicht einmal 30 Euro. Eine angelernte Näherin bekommt 4000 Taka, also 39 Euro. Das reicht auch in Bangladesch vorn und hinten nicht. Zum Überleben müssten die Löhne verdoppelt werden.

STANDARD: Die globalen Textilketten argumentieren, dass sie als Folge die Preise deutlich anheben müssten. Sie konstruieren damit einen Konflikt zwischen der Forderung der Näherinnen in Bangladesch nach einem fairen Lohn und dem Wunsch der Verbraucher im Westen nach preiswerter Kleidung.

Amin: Das halte ich für falsch. Die Lohnkosten machen nur einen minimalen Anteil des Endpreises aus. Die Branche macht sehr viel Profit. Da ist Spielraum, um den Näherinnen einen fairen Lohn zu zahlen.

STANDARD: Es gibt ein knappes Dutzend aktiver Gewerkschaften in der Branche. Warum setzen sie ihre Forderungen nicht mit gemeinsamen Streiks durch?

Amin: Die Gewerkschaften sind in der Textilindustrie sehr schwach. Auf dem Pa­pier, also laut Gesetz, ha­ben die Näherinnen das Recht, sich zu organisieren. Aber in der Praxis wird ih­nen dieses Recht von den lokalen Fabrikbesitzern oft verweigert. Ar­beiter, die Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben machen, werden gefeuert. Von den knapp 5000 Fa­bri­ken in Bangladesch sind nur 140 ge­werkschaftlich organisiert. Wir haben 37.000 Mitglieder. In der gesamten Textilbranche sind jedoch 3,5 Mio. Menschen beschäftigt.

STANDARD: Auch Sozialaktivisten, die die horrenden Arbeitsbedingungen kritisieren, werden drangsaliert, bedroht, festgenommen und in Einzelfällen sogar ermordet.

Amin: Es ist sehr schwierig. Die Textilindustrie ist der größte und wichtigste Indus­trie­zweig Bangladeschs und macht 79 Prozent der Exporteinnahmen aus. Fabriksbesitzer sind mächtig. Sie und ihre Leute sitzen im Parlament und in Ministerien, dominieren den Staat.

STANDARD: Haben Sie Hoffnung, dass sich nach der Tragödie etwas zum Besseren wendet?

Amin: Ja, ich habe diese Hoffnung. Das Fabrikunglück hat die Zustände in der Textilindustrie sowohl national als auch weltweit in die Schlagzeilen gerückt. Die Verbraucher im Westen werden nicht glücklich sein, Kleidung aus Bangladesch zu kaufen, wenn sich nichts ändert. Der Druck auf die globalen Konzerne, auf die lokalen Fabrikbesitzer und die Regierung ist groß, nun etwas zu tun. Jeder muss seinen Anteil beitragen, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 11./12.5.2013)