Giulia Enders
Darm mit Charme
Alles über ein unterschätztes Organ

Ullstein Verlag 2014
288 Seiten, 17,50 Euro
ISBN 978-3-550-08041-8

Foto: ullstein

Giulia Enders über das Darmrohr beim 6. Freiburger Science Slam 2012.

"Giulia, du studierst doch Medizin - wie geht kacken?" Angespornt von der Frage ihrer Mitbewohnerin begann die junge deutsche Medizinerin Giulia Enders Nachforschungen zu einem "stark vernachlässigten" Organ. Anders als die beiden anderen "Schläuche" im Körper - Herz-Kreislaufsystem und Nervensystem -, die ständig Meisterleistungen vollbringen, werde der Verdauungstrakt stiefmütterlich behandelt. "Der Darm, so glauben die meisten, geht höchstens mal aufs Klo. Sonst hängt er wahrscheinlich lässig im Bauch rum oder pupst ab und zu", heißt es im Vorwort von "Darm mit Charme".

Kein "uncharmanter Schlauch"

Von weitem betrachtet ist das Darmrohr ein unansehnlicher, uncharmanter und unsymmetrischer Schlauch, schreibt Enders. Je genauer man aber hinsieht, desto mehr Faszinierendes erkenne man - dank ihrer verständlichen Erklärungen auch als Laie. Vom Zusammenspiel der beiden Schließmuskeln - einer unwillkürlich, einer (zum Glück) willkürlich gesteuert-, über gezielte Klogang-Unterdrückung bis hin zur richtigen Sitztechnik am WC - idealerweise hocken, um eine vollständige und möglichst angenehme Entleerung zu gewährleisten - reichen die Fragen, die sich bei einer Beschäftigung mit dem Darm unweigerlich stellen.

"Die Gedanken an den Schließmuskel klingen vielleicht nicht unbedingt nobelpreisverdächtig, aber eigentlich sind es grundlegende Fragen unserer Menschlichkeit", schreibt Enders - schließlich gehe es um das Zusammmenspiel von unserer Innen- und Außenwelt. Ob und wie wir Stuhlgang oder Flatulenzen unterdrücken, sage viel mehr über uns selbst aus, als uns bewusst ist.  Langfristig sei der beste Kompromiss wohl irgendwo zwischen "auf Teufel raus verkneifen" und "Pups lautstark als Zaubershow inszenieren" - so die Autorin.

"Kleine Lektüre zum Kot"

"Ums Eingemachte" geht es schließlich in der "kleinen Lektüre zum Kot". So erfährt man etwa die Unterschiede zwischen rotem und schwarzem Stuhl (beide nicht gesund) und von der Bristol-Stuhlformen-Skala, die zwischen sieben Typen unterscheidet, von denen der darmgesunde Mensch für normal nur zwei von sich gibt. Genauere Infos, wann, warum und wie es zu den anderen Formen kommt, fehlen aber leider. Auch der Geruch, erfahrungsgemäß ja auch sehr unterschiedlich, wird nicht behandelt.

Dafür wird an anderer Stelle genauestens und spannend erklärt, warum das Erbrechen lebensnotwendig ist und eine körperliche "Meisterleistung" darstellt. Das Übergeben hätten wir Tieren wie etwa Meerschweinchen, Kaninchen, Maus oder Pferd voraus: "Wenn bei ihnen etwas Ungutes im Dünndarm landet, ist das oft lebensgefährlich. Im Grunde können wir also erst mal mächtig stolz sein, wenn wir uns röhrend über einer Kloschüssel krümmen". Na wenn das so ist...

Stationen zwischen Mund und After

Aber nicht nur um Ausgang und Entleerung geht es, sondern auch um den ganzen Weg zuvor: Auf der Nahrungs-Reise zwischen Mund und After beschreibt Enders praktisch nebenbei, warum Halsweh nach dem Aufstehen am schlimmsten ist und erst nach dem Essen besser wird. Dies liegt an der Ausschüttung von Speichel, der das Schmerzmittel Opiorphin enthält, das erst 2006 entdeckt wurde, und stärker als Morphium sein soll. Auch warum wir nach dem Essen müde werden oder der Wurmfortsatz im Blinddarm keineswegs nutzlos ist, beschreibt sie mit viel Humor.

Schlussendlich versammelt Giulia Enders auch Zahlen und Fakten, wie die warum der Darm so häufig gefaltet ist, und dass er ausgebreitet sieben Meter lang wäre, dass der Magen schief im Körper liegt und warum unsere Verdauung auf Alkohol ganz speziell reagiert (aber meist erst am nächsten Morgen). Enders schafft den Spagat, gleichermaßen humorvoll (und nur selten bemüht komisch) wie lehrreich (aber nicht zu wissenschaftlich) Grundlegendes und Tiefergehendes zum Thema zu vermitteln. Für interessierte Laien ein Standardwerk. (Florian Bayer, derStandard.at, 6.5.2014)