Wien/Graz – "Die Rechtsradikalen erkennt man heute nicht mehr", sagt Roman Schweidlenka, seit vielen Jahren Sektenbeauftragter des Landes Steiermark, im Gespräch mit dem STANDARD. "Aktionsformen und Outfit klauen sie sich von den Linken, das ist nicht neu, das gab es schon in der NS-Zeit, als Nazis linke Arbeiterrituale übernahmen und ihre Ideologie hineinstopften. Heute gibt es Rechtsextreme mit langen Haaren und Palästinenserschal auch, das machen die ganz bewusst so."

Für Schweidlenka ist auch diese Verwirrungstaktik ein Gefahrenpotenzial der Identitären, einer Bewegung, die ursprünglich aus Frankreich stammt und in mehreren europäischen Ländern an Zulauf gewinnt. Deswegen und wegen ihres "religiös überhöhten, sektoiden Charakters" hat Schweidlenka die Gruppe schon seit mehr als einem Jahr auf seinem Radar: "Sie haben ein Sendungsbewusstsein, wollen Europa vor dem Islam retten und erreichen damit vor allem im universitären Umfeld orientierungslose Junge."

Aufgrund ihres Äußeren könne man auch "überhaupt nicht sagen, ob in einem schwarzen Block wie jenem bei der Demo gegen den Akademikerball nicht auch Rechte mitgehen und bewusst eskalieren", ist Schweidlenka überzeugt. Ihre Ideologie gehe von einem "Urvolk, einer Art von Urgermanen aus, aber wissenschaftlich ist das eine dünne Suppe und sofort widerlegbar, denn spätestens seit der Völkerwanderung haben sich alle Völker vermischt", erklärt Schweidlenka.

Dass die Identitären am Samstag durch Wien marschieren wollen, erfüllt Schweidlenka mit Unbehagen. Die Wiener Gruppe schätzt er auf etwa 70 Mann.

Drohungen per E-Mail

Auch in Graz sind nach Schweidlenkas Schätzungen etwa 30 Identitäre aktiv, "das sollte man nicht unterschätzen". Diese Zahl deckt sich mit Beobachtungen der Politologin und Ex-VSStÖ-Chefin Natascha Strobl von der Offensive gegen Rechts, die gemeinsam mit zwei Kollegen ein Buch über die identitäre Bewegung geschrieben hat. Dessen Präsentation am 7. Mai in Graz sei "von etwa zwölf Männern der Identitären gestört" worden, sagt Strobl. Sie hätten sich "in den Hörsaal hineingeboxt", aber niemanden verletzt.

Strobl, die "von rechts immer wieder per E-Mail bedroht" werde und deren Küchenfenster in Wien kürzlich von Unbekannten eingeschossen wurde, bat in Graz schließlich die Polizei um Hilfe:  "Der Verfassungsschutz ist gleich gekommen, die waren sehr nett und kompetent. Die Veranstaltung konnte mit eineinhalb Stunden Verspätung beginnen. In Wien fühle ich mich nicht so ernst genommen." Die Ermittlungen wegen der Küchenfensterscheibe, die vermutlich mit einem Luftdruckgewehr eingeschossen wurde, liefen aber noch.

Foto mit Küssel

Identitäre sagen von sich selbst, dass sie nur gewaltfrei agieren. Auf den Sommercamps aber, die etwa die französische Génération Identitaire auf ihrer Homepage bewirbt, sind auch Übungen zur "Selbstverteidigung" zu sehen.

Laut den Grünen mobilisieren die Identitären für ihren Marsch durch Wien am Samstag auch ihre Partnerorganisationen in Frankreich. "Es ist unerträglich, dass es erstmals seit vielen Jahren wieder eine Demonstration von Rechtsextremen in Wien gibt. Sollte der Aufmarsch wirklich stattfinden, werden wir genau beobachten, welche FPÖ-Aktivisten da mit internationalen Rechtsextremisten durch die Mariahilfer Straße ziehen", sagt der grüne Parlamentarier Albert Steinhauser.

Denn einige der Identitären haben zumindest nachweislich Verbindungen zu Burschenschaften, vor allem in Graz. Zudem fanden Mitarbeiter der Website stopptdierechten.at Fotos von Veranstaltungen, auf denen Männer aus dem Umfeld der Identitären vor wenigen Jahren gemeinsam mit dem heute inhaftierten Neonazi Gottfried Küssel und dem wegen der Seite Alpendonau.Info Mitinhaftierten Felix B. zu sehen sind. Die Fotos liegen dem STANDARD vor.

Der Obmann der Identitären, Alexander Markovics, gibt an, dass zwei dieser Männer keine Mitglieder der Identitären seien oder jemals waren. Zwei andere aber schon, doch hätten sich diese mittlerweile von der NS-Ideologie und jedwedem "rassistischen oder antisemitischen Gedankengut distanziert", beteuert Markovics. "Wir Identitären glauben daran, dass Menschen dazu in der Lage sind, aus den Fehlern ihrer Vergangenheit zu lernen und sich zu bessern", führt er in einem E-Mail an den STANDARD aus.

Die Identitären in Deutschland sammeln auf ihrer Facebook-Seite jedenfalls ebenfalls Geld für die gemeinsame Fahrt nach Wien. Strobl will auch von Teilnahmen von Identitären aus Italien und Tschechien wissen.

Auch "Unsterblich"-Teilnahme möglich

Und sie ist sicher, dass der nicht anerkannte, militant rechte Austria-Fanklub "Unsterblich" an dem Marsch teilnehmen will. Mitglieder von Unsterblich wurden wegen des Überfalls auf das Ernst-Kirchweger-Haus in Wien im Herbst 2013 angeklagt. Markovics will von deren Teilnahme im STANDARD-Gespräch am Donnerstag aber nichts wissen. "Wenn sie am Samstag wirklich mit den ganz harten Rechten marschieren, dann ist ihre Behauptung, sie seien nicht rechtsextrem, widerlegt", meint dazu Schweidlenka.

Strobl und die Offensive gegen Rechts wollen, dass sie gar nicht durch Wien marschieren, und haben eine Gegendemonstration angemeldet, bei der sie 500 bis 700 Teilnehmer erwarten. "Das hängt jetzt auch vom stürmischen Wetter ab", sagt Strobl, "wir werden jedenfalls nicht eskalativ sein."

Angesprochen auf die Wetterprognose bleibt Identitären-Chef Markovics entspannt: "Wir sind ja nicht aus Zucker." (Colette M. Schmidt, derStandard.at, 15.5.2014)