Die Genfer Konvention besagt, dass jedem Menschen Schutz zusteht, wenn sein Leben in Gefahr ist. Doch wer diesen Schutz sucht, weil er aus Syrien oder einem anderen Kriegsgebiet fliehen muss, kann sich diesen im Moment nur kaufen.

Ein Asylantrag kann nur in Ausnahmefällen bei einer Botschaft im Ausland gestellt werden, die Grenzen sind so gut gesichert wie noch nie. Eine legale Flucht nach Europa ist so gut wie ausgeschlossen. Nur wer genügend Geld und Mut aufbringt, einen Schlepper zu bezahlen und sich diesem auszuliefern, hat eine Chance auf Asyl. Das ist Zynismus in Reinform.

Von den anerkannten rund 16 Millionen politisch Verfolgten befindet sich nur ein Bruchteil in der EU. Und doch wird die Diskussion geführt, als platzte Europa aus allen Nähten, als wäre ein Menschenleben etwas, worüber man verhandeln könnte wie über eine Kfz-Richtlinie. Das Asylsystem funktioniert schon lange nicht mehr, und europäische Regierungen weigern sich beharrlich, eine gemeinsame Reform umzusetzen - immer mit dem Finger auf der Statistiktabelle.

Es scheint die Verbindung im Kopf gekappt zu sein, dass die Menschen, die in den Abendnachrichten vor explodierenden Autos davonlaufen oder ihre weinenden Kinder in die Kamera halten, ebenjene sind, die um Hilfe bitten. Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist es höchste Zeit, dass sich Europa seiner eigenen Geschichte besinnt und denjenigen Schutz gewährt, die vor Terror und Verfolgung flüchten müssen.

Dass der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker legale Migration nach Europa als Priorität genannt hat, ist ein gutes Zeichen. Wenn sich jetzt auch noch die EU-Mitgliedsstaaten nicht weiter auf eine unhaltbare Dublin-II-Verordnung ausreden und endlich ihre gemeinsame Verantwortung wahrnehmen, ist das der richtige Weg. Dass Italien und Griechenland aufgrund ihrer geografischen Lage alleine mit der Situation fertigwerden müssen, ist verheerend und unsolidarisch.

Ein "Saves Lives Project", wie es Innenministerin Johanna Mikl-Leitner diese Woche vorgestellt hat, klingt zwar fortschrittlich und human, hat aber seine Tücken. Nach welchen Kriterien sollen die Bedürftigsten rausgepickt werden, denen dann Asyl in Europa gewährt wird? Sollen NGOs diese Auswahl treffen, oder können die EU-Länder ihre Suche noch verfeinern, indem sie die Aufnahme zum Beispiel nur auf Frauen, Kinder oder gesunde Migranten beschränken?

Zeitgemäß wäre in jedem Fall eine Quotenregelung, die - je nach Größe und wirtschaftlicher Stärke - die Flüchtlinge auf die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten verteilt. Gleichzeitig müssen die katastrophalen Bedingungen für Flüchtlinge in den nordafrikanischen Staaten verbessert werden. Sonst werden weiterhin Tausende die riskante Überfahrt nach Europa riskieren, um dem Elend und der Hoffnungslosigkeit ihres Kontinents zu entfliehen. Wer nur mehr sein Leben hat, setzt auch dieses aufs Spiel. Das müssen europäische Politiker endlich erkennen.

In letzter Konsequenz müssen die EU-Mitgliedsstaaten ihre Flüchtlingspolitik vereinheitlichen und enger miteinander kooperieren. Die Chancen auf Asyl stehen je nach Herkunftsland unterschiedlich gut oder schlecht - gäbe es übereinstimmende Standards bei der Anerkennung, würde sich auch der Migrationsdruck besser verteilen. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 11.7.2014)