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Ein jubelndes ÖFB-Team im Gradski-Stadion in Montenegro.

FOTO: APA/ROBERT JAEG

1:0 in Russland, 4:1 in Schweden, 3:2 in Montenegro: Die österreichische Nationalmannschaft macht plötzlich Dinge, die eine österreichische Nationalmannschaft nie gemacht hat. Von neun Qualifikationsspielen hat das Team acht gewonnen. Lange waren bei Auswärtsfahrten Niederlagen programmiert. Diesmal hat man alle fünf Auswärtsspiele gewonnen. Österreichs Nationalteam klopft an bei den Top Ten der Weltrangliste und fährt zur Europameisterschaft. In vier Jahren brachte ein Schweizer Teamchef den österreichischen Fußball in der Weltrangliste von Platz 71 auf elf, Österreichs Fußballer spielen wie ausgewechselt. Beim 3:2-Sieg in Montenegro geriet das Team erstmals in dieser Qualifikation in Rückstand. Österreich steckte jedoch nicht auf, sondern erzielte den Ausgleich. In der zweiten Hälfte zählte ein regulärer Treffer der Österreicher nicht, ein womöglich irregulärer der Montenegriner schon. Österreich schoss zwei Tore in den letzten zehn Minuten. Das ist ungewöhnlich. Eine österreichische Mannschaft, die wie am Fließband gewinnt, die Spiele dreht, die ans Gewinnen glaubt.

Vor zwei Jahren saß ich mit Fritz Schmid, dem ehemaligen Assistenten von Teamchef Marcel Koller, beisammen. Er erzählte mir, wie schwierig es gewesen war, die Mannschaft von sich selbst zu überzeugen. Die vielen gemeinsamen Niederlagen hatten sich in den Köpfen der Spieler manifestiert. Die Spieler glaubten nicht mehr daran, gemeinsam Erfolge erzielen zu können, weil sie es schlichtweg nie kennengelernt hatten. Schmid erzählte von einer Mannschaft, die mental auf dem Boden war. Er fragte mich zwischen den Zeilen, wie so etwas möglich werden konnte. Ich erzählte ihm aus den vergangenen zehn Jahren. "Wir haben keine Chance, aber die müssen wir nützen", erhob Hans Krankl in seiner Teamchefära zum Stehsatz. Pepi Hickersberger scherzte als Teamchef: "Wir haben nur unsere Stärken trainiert, darum war die Einheit nach 15 Minuten vorbei." Und Didi Constantini jammerte, dass keine österreichische Mannschaft in der Champions League spiele, "daher kannst du auch keinen Krankl, Prohaska oder Polster erzeugen". Dabei spielten seine Spieler allesamt längst in guten Ligen. Ein Spieler, heute Leistungsträger in der Nationalmannschaft, erzählte mir einmal, dass er es satt habe, zum Team zu fahren, taktisch nicht eingestellt zu werden und danach als Spieler noch einen Rüffel für Niederlagen zu bekommen.

Kulturschock Teamcamp

Constantini hatte als einziger Teamchef einen ähnlichen Kader wie jetzt Koller zur Verfügung. Einige Spieler waren damals auf einem höheren Leistungslevel: Harnik traf 14-mal in einer Saison für Stuttgart, Pogatetz und Fuchs wurden zu den besten Verteidigern der deutschen Bundesliga gewählt, Janko traf in Holland in jedem zweiten Spiel, Ivanschitz war Leistungsträger in Mainz, Scharner in England. Andere brauchten noch Zeit: Alaba spielte in Hoffenheim, Dragovic in Basel, Junuzovic bei der Austria.

Legionäre forderten unter Constantini zunehmend Taktikeinheiten, die sie im Ausland gewohnt waren, und sprachen bei Teamcamps von einem Kulturschock. Constantini setzte vermehrt auf Spieler der heimischen Liga. Ein jetziger Leistungsträger erzählte mir einst, dass er Teamchef Constantini auf die fehlenden Taktikeinheiten ansprach. Der winkte nur ab und erklärte dem Legionär, er müsse mehr kämpfen. Kurz darauf holte er Kulovits, Royer und Gratzei in die Startelf. Allesamt Spieler der österreichischen Liga, die froh über eine Nominierung waren. Der Kritiker spielte zusehends weniger.

Die Raupe wurde zum Schmetterling

Österreichs Nationalteam war lange eine Raupe, die nur darauf wartete, zum Schmetterling zu werden. Doch die Teamchefs eines ganzen Jahrzehnts setzten auf wenig taktische Raffinesse und viel mentale Geißelung. Während sich die Teamchefs locker-lässig an ihren Spielern abputzten, verloren die zusehends den Glauben an die eigene Stärke. Ehe das Duo Koller/Schmid vor vier Jahren im taktischen Bereich ansetzen konnte, musste es erst diesen mentalen Knoten lösen. Die beiden plakatierten in der Kabine Fotos von jubelnden Teamspielern. Später jubelten die Kicker auch auf dem Feld wieder öfter.

Koller hat die Mannschaft nicht nur taktisch an internationales Niveau herangeführt, sondern auch ein Team gebildet, weil er ihm Vertrauen schenkte. Koller setzte auf Janko und Almer, obwohl die lange nicht spielten. Es hätte dafür nicht wenig Kritik gesetzt, wären da nicht viele Siege gewesen. Janko traf regelmäßig, und Almer hielt den Kasten sauber – trotz fehlender Spielpraxis. Der Schweizer reißt zudem keine Witze über seine Spieler. Er betont stattdessen, dass der Zenit – trotz Platz elf – noch nicht erreicht sei.

Angst vorm Verlieren

Die Mentalität, in der Koller Ziele formuliert, zeigt das Nationalteam auf dem Platz. Im taktischen Korsett bewegt sich das Team mittlerweile auch mental gefestigt. Beim 3:2 in Montenegro drehten die Spieler nach schlampiger und nachlässiger erster Hälfte das Spiel von einem 1:2 in einen Sieg. Österreichs Team hat mittlerweile mehr Angst vorm Verlieren als vorm Gewinnen. Das war nicht immer so. Vor einigen Jahren war es noch umgekehrt. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der österreichische Fußball Möglichkeiten nach oben hätte, diese aber nicht abgerufen werden. Das ist ein Teil unserer gequälten Seele. Wir sehnen den Erfolg herbei, und er tritt nicht ein", sagte ÖFB-Präsident Leopold Windtner vor vier Jahren, kurz bevor Constantini beurlaubt wurde.

Während lange Zeit ein echter Österreicher als Teamchef gefordert wurde, dreht ein echter Schweizer nun das Ruder. Und seine Spieler auf dem Feld drehen Niederlagen plötzlich in Siege. Österreich spielt abgeklärt. Österreich spielt mental stark. Österreich spielt nicht mehr wie Österreich. (Gerald Gossmann, 12.10.2015)