Kanzler und Vizekanzler luden am Freitag zum Arbeitsmarktgipfel.

Foto: Matthias Cremer

Die Sozialpartner konnten im Vorfeld lange keine Einigung erzielen, sie trugen die Kompromisse aber letztlich weitgehend mit. Lediglich die Industriellenvereinigung war nicht ganz zufrieden.

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Wien – Bis Mitternacht haben die Experten der Koalition am Donnerstag beraten, dann war klar, dass es nicht nur eine Einigung auf eine Senkung der Lohnnebenkosten gibt, sondern überraschenderweise auch eine auf ein Bonus-Malus-System zur Beschäftigung über 55-Jähriger Mitarbeiter.

Nach einem zweistündigen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt verkündeten dann am Freitag SPÖ-Chef Werner Faymann und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) die Eckpunkte, zu denen auch einige Änderungen im Arbeitsrecht gehören, über die seit Monaten verhandelt wurde.

Entlastung in Etappen

Konkret soll eine erste Etappe der Lohnnebenkostensenkung bereits per 1. Jänner 2016 in Kraft treten. Der Arbeitgeberbeitrag für den Insolvenzentgeltfonds sinkt demnach von 0,45 auf 0,35 Prozent – das entspricht laut Wirtschaftsminister Mitterlehner einem Volumen von rund 80 Millionen Euro.

Zwei Etappen bei Flaf-Senkung

Ab 2017 sinken dann die Arbeitgeberbeiträge zum Familienlastenausgleichsfonds (Flaf), über den Familienleistungen finanziert werden, um 0,4 Prozentpunkte, 2018 um weitere 0,2 Prozentpunkte. In Summe entspricht die Flaf-Beitragssenkung einer Entlastung um etwa 790 Millionen Euro.

In Kombination mit der Lohnnebenkostensenkung gibt es doch die zuletzt von der Wirtschaftskammer so massiv bekämpfte Einigung auf ein Bonus-Malus-System. Konkret werden – wie schon im Regierungsprogramm vereinbart – Quoten vereinbart, wie viele ältere Mitarbeiter in einer Branche zu beschäftigen sind.

Höhere Auflösungsabgabe oder Beitragssenkung

Wer diese Quote bis 31. Oktober 2017 nicht erfüllt, muss ab 2018 die doppelte Auflösungsabgabe zahlen. Sie beträgt derzeit 118 Euro pro abgebautem Mitarbeiter, dann eben 236 Euro. Wer die Quote erfüllt, bekommt eine weitere Senkung der Flaf-Beiträge um 0,1 Prozentpunkte.

Um im Vorfeld Bewusstseinsbildung zu leisten, informiert der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ab dem nächsten Jahr alle Firmen mit mehr als 25 Arbeitnehmern (nur für sie gelten die Quoten), wie man im Vergleich zum Branchenschnitt dasteht. Dass es wegen der drohenden Sanktionen vor dem Jahr 2018 zu prophylaktischen Kündigungen kommen könnte, glaubt Mitterlehner nicht. Er setzt auf den "sozialen Druck".

Interessant werden noch die Details der Umsetzung. Manche Experten halten es für denkbar, dass es sich bei den niedrigeren Flaf-Beiträgen für Teile der Betriebe um eine verbotene Beihilfe nach EU-Recht handeln könnte.

Änderungen im Arbeitsrecht

Teil des Pakets werden auch arbeitsrechtliche Änderungen sein. Bei All-in-Verträgen soll es mehr Transparenz geben – es muss der Grundlohn in Zukunft im Arbeitsvertrag explizit ausgewiesen werden, um die für die Überstunden geleisteten Pauschalabgeltungen sichtbarer zu machen. Dadurch sollen Arbeitnehmer besser überprüfen können, ob sie genug Überzahlung bekommen.

Konkurrenzverbote werden eingeschränkt – sie dürfen nur mehr bei höheren Einkommen angewendet werden. Derzeit sind sie ab der 17-fachen Tageshöchstbeitragsgrundlage möglich, künftig ab der 20-fachen. Voraussichtlich wird das nächstes Jahr ungefähr einer Einkommensgrenze von 3.240 Euro entsprechen.

Mehr AMS-Mittel

Eine Einschränkung gibt es auch noch im Zusammenhang mit Ausbildungskosten für Mitarbeiter. Verlässt ein Mitarbeiter von sich aus den Betrieb, können die Kosten derzeit vom Arbeitgeber unter bestimmen Voraussetzungen zurückgefordert werden – diese Möglichkeit wird nun eingeschränkt, indem die Rückforderungsfrist von fünf auf vier Jahre reduziert wird.

Die Arbeitgeber bekommen dafür in Teilbereichen flexiblere Arbeitszeiten: Für Mitarbeiter, die auf Dienstreisen oder auf Montage sind, wird die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden angehoben. Auf einen erleichterten Zugang zur sechsten Urlaubswoche konnte man sich hingegen wie erwartet nicht einigen.

Mehr Geld

Zusätzliches Geld für das AMS wird es ab 2017 geben. Wie berichtet wurden für das Jahr 2016 schon 250 Millionen Euro an frischen Mitteln für die Förderung von älteren Arbeitnehmern zugesagt, weitere 70 Millionen (von denen aber nur 50 Millionen effektiv neu sind) für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Nun wurde auf Regierungsebene festgelegt, dass es ab 2017 350 Millionen Euro im Dauerrecht geben soll.

Gerechnet wird derzeit damit, dass von den rund 80.000 Flüchtlingen, die heuer nach Österreich kommen, etwa 30.000 tatsächlich für den Arbeitsmarkt relevant sind. Zur Erklärung: Etwa 25 Prozent der Asylwerber sind Jugendliche oder Kinder, ein Teil bekommt keinen Asylanspruch.

Geplante Wohnbauoffensive

Endgültig auf den Weg gebracht wurde das bereits im März fixierte Wohnbaupaket. In den nächsten Jahren könnten durch den Bau von 30.000 leistbaren Wohnungen bis zu 20.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, erwartet die Regierung.

Weiters soll die Konjunktur durch den rascheren Ausbau von Elektrizitätsinfrastruktur angekurbelt werden. Bei der Umrüstung von 220 kV auf 380 kv Stromleitungen soll die generelle Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wegfallen. In diesem Bereich erwartet man sich Investitionen im Ausmaß von 700 Millionen Euro in den kommenden Jahren.

60.000 Jobs mehr

In Summe erwartet Faymann durch alle Maßnahmen 60.000 zusätzliche Jobs in den kommenden Jahren. Die Sozialpartner, die ebenfalls an dem Gipfel teilgenommen haben, sind laut Faymann und Mitterlehner bei den Maßnahmen weitgehend an Bord. Allerdings: "Es ist eine härtere Zeit und daher sind auch die Verhandlungen härter", wie Faymann betonte. Lediglich die Änderungen bei den All-in-Verträgen würden von der Industriellenvereinigung abgelehnt, sagte Mitterlehner.

Eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes für Flüchtlinge war, wie angekündigt, am Freitag noch kein Thema. "Wir müssen zuerst abwarten, was sich auf europäischer Ebene tut", sagte Sozialminister Rudolf Hundstorfer zum STANDARD. Faymann kündigte aber einen weiteren Gipfel zu dem Thema für Dezember oder Jänner 2016 an. (Günther Oswald, 30.10.2015)