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Während Linke denken, dass Rechte unbegründete Ängste in der Flüchtlingsdebatte schüren, schüren Linke selbst etwas: nämlich unbegründete Hoffnung.

Foto: Reuters/YANNIS BEHRAKIS

Man darf nicht über die Täter der Silvesternacht in Köln debattieren, solange nicht in allen Einzelheiten feststeht, wer sie waren. Das schrieben vor allem linksgerichtete Journalisten, User, Politiker sehr oft in den letzten Tagen. Konservativ bis rechtsgerichtete Journalisten, User, Politiker debattierten derweil über Flüchtlinge und Migranten als Täter.

So geht es schon eine ganze Weile: Es kommen sicher keine Terroristen mit den Flüchtlingsströmen nach Europa, trommelten die Linken. Viele Terroristen werden sich unter die Flüchtlinge mischen, schrien Konservative bis Rechte. Es kommen viele Ärzte, Studierte und gut Ausgebildete, wussten die Linken. Es kommen Analphabeten und Nichtskönner, unkten Konservative bis Rechte. Es waren sicher keine Flüchtlinge unter den Köln-Tätern, meinten dieselben Linken, die darauf verwiesen, erst mal abzuwarten, bis man die Täter erforscht habe. Es waren natürlich Flüchtlinge darunter, wollten Konservative und Rechte früh wissen.

Rein emotionale Zugänge

Daraus ergibt sich ein Muster: Während Linke denken, dass Rechte unbegründete Ängste schüren, schüren Linke selbst etwas – nämlich unbegründete Hoffnung. Dabei sind sowohl das Schüren von Angst als auch das Schüren von Hoffnung in vielen dieser Fälle nicht mit Fakten untermauerbar. Beides beruht zumeist auf rein emotionalen Zugängen, die dem eigenen Weltbild eben mehr entsprechen.

Dass die meisten Syrer gut ausgebildet seien, gründete auf einem Wunsch, die Zahlen sagen heute etwas anderes. Es wirkt aktuell gar so, dass Konservative mit ihren Behauptungen eine Spur näher an der Realität liegen, wenn sie meinen, dass es beinahe unmöglich wird, viele schlechtausgebildete Flüchtlinge entsprechend zu integrieren und somit Frustration bei Asylwerbern und damit einhergehendes Konfliktpotenzial zu verhindern. Während Linke ihrem Schüren von Hoffnung aber eine moralische Berechtigung verleihen, gilt das Schüren von Ängsten als Rechtspopulismus.

Das Wort Linkspopulismus für das Vorgehen der Linken würde ebenso zutreffen. Beide Herangehensweisen – sowohl das Schüren von Ängsten als auch das Schüren von Hoffnung – beruhen auf demselben Mechanismus: der Spekulation. Gutmenschen müssen nicht immer gute Menschen sein, aber sie gehen von ausschließlich guten Menschen aus. Deshalb sehen sie sich auch als Korrektiv zu gesellschaftlichen Tendenzen – derzeit: den Vorbehalten gegen die Flüchtlingsströme. Aber auch Konservative und Rechte sehen nun immer öfter die Möglichkeit, die Gesellschaft über ihr Weltbild aufzuklären. Zwischentöne gibt es bei Diskussionen der beiden Seiten kaum. Beide verstehen einander nicht, obwohl sie ähnlich handeln.

Linker Aktionismus

Linke werfen Konservativen und Rechten vor, dass sie die Geschehnisse von Köln nur deshalb bereitwillig kommentieren, weil sie in deren Weltbild passen würden. Dabei verschweigen sie, dass die Geschehnisse in ihr eigenes Weltbild eben so gar nicht passen. Nämlich, dass von etwa 30 Verdächtigen (laut deutschen Medienberichten) zwei Drittel tatsächlich Asylwerber waren.

Bevor das feststand, schrieben Linke in Kolumnen und in Foren: Lasst uns erst mal die Fakten abwarten, wer die Täter genau waren und welche Motive sie hatten. Seit Fakten da sind, warten sie weiter ab und schreiben in ihren Texten, Tweets und Postings lieber über Bundespräsidentschaftskandidaten. Während Konservative und Rechte sich bestätigt fühlen. Auch deshalb, weil sie das berechtigte Gefühl haben, dass ihnen etwas verschwiegen werden hätte sollen und dass sie in manchen Punkten in ihren Vermutungen näher an der Wirklichkeit dran waren.

Was Linke zunehmend vergessen: Ihr Aktionismus, ihr Schüren von oft aus der Luft gegriffener Hoffnung, ist kein Korrektiv für einen drohenden Rechtspopulismus, sondern verstärkt ihn vielmehr.

Helfen würde beiden Seiten – rechts wie links des Meinungsspektrums – nur ein Diskurs. Ein Abwägen der Positionen und ein Benennen der Problemstellen. Stattdessen verharren beide Seite in ihren einzementierten Feldern, die jede Diskussion verunmöglichen. Linke sind dabei selten besser gewesen als Rechte. Beide betreiben Aktionismus für ihr jeweiliges Weltbild. Alles andere scheint ihnen zweitrangig. (Gerald Gossmann, 11.1.2016)