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"Manche Studenten verspüren einen gewissen Druck, weil sie glauben, dass andere Neuro-Enhancement betreiben", sagte Neurologin Ilina Singh bei einer Expertendiskussion in Wien.

Foto: Reuters/MICHAELA REHLE

Wien – Neuro-Enhancement, die Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit etwa durch Medikamente, ist vor allem im angloamerikanischen Raum ein viel beachtetes Thema. Der gesteigerten medialen Aufmerksamkeit stehe aber der Befund entgegen, dass sogenannte "Smart Drugs nicht klüger machen", betonte die Neurowissenschafterin Ilina Singh von der Oxford University am Dienstag bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien. Thema der Expertenrunde: "Kluge Grenzen oder grenzenlos klug? – Was ist Neuro-Enhancement".

Neben der Frage, ob sich mit Substanzen wie Ritalin, Amphetamin (Speed) oder neurotechnologischen Verfahren, die bestimmte Gehirnareale stimulieren, tatsächlich kognitive Leistungen "verbessern" lassen, sei vor allem unklar, wie viele Leute eigentlich zu solchen Methoden greifen. In Großbritannien habe sich in den Medien vor allem das Bild des Studenten eingeprägt, der sich durch solche Helferlein unterstützt, den Lernstoff einverleibt, sagte Singh.

Nicht klüger, aber leistungsfähiger

Im Rahmen des von der EU geförderten internationalen Forschungsprojekts "NERRI", an dem auch das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und die Universität Linz beteiligt waren, haben Singh und ihre Kollegen die ersten Untersuchungen in Großbritannien dazu durchgeführt. Das Ergebnis: Zehn Prozent der befragten Studenten gaben an, bereits einmal zu solchen Methoden gegriffen zu haben. Weniger als ein Prozent tut das regelmäßig. Einige gaben allerdings an, dass sie beispielsweise öfter zu Ritalin greifen würden, wenn es leichter zu bekommen wäre. Das Medikament wird etwa zur Behandlung von Personen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) eingesetzt.

"Manche Studenten verspüren einen gewissen Druck, weil sie glauben, dass andere Neuro-Enhancement betreiben", so Singh. Dem entgegen steht der Befund, dass die Mittel die kognitive Leistung nicht erhöhen, sondern eher längeres Lernen ermöglichen, in gewissem Ausmaß die Ablenkbarkeit unterdrücken und die Motivation heben. "Alleine das könnte für Studenten ja schon attraktiv sein", sagte Singh. Studien zu Ritalin zeigen aber, dass manche zwar das Gefühl haben, mehr zu leisten, allerdings steige damit auch die Fehlerquote.

Großes Interesse an Neuro-Enhancement

Problematisch sei, dass es bisher keine großflächigen Studien zur Wirkung und Verbreitung solcher Methoden zur Leistungssteigerung gebe. In Großbritannien habe aber die Regierung reges Interesse an Neuro-Enhancement, so der Tenor am Podium. Die Politik begreife das Thema dort sogar als eine Frage der zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Davon sei man in Deutschland und Österreich aber weit entfernt.

Nach einem "Hype" vor mehr als zehn Jahren komme das Thema in Deutschland erst in den vergangenen Jahren wieder langsam auf Tapet. Davor war es eher eine "Phantomdebatte", sagte Jürgen Hampel von der Universität Stuttgart. Der Diskurs drehe sich auch stärker als in Großbritannien um die Problematik der Anpassung des Menschen an die gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt und welche gesellschaftlichen Auswirkungen damit einher gehen, ergänzt der Soziologe.

"Noch viel weniger Diskurs über Neuro-Enhancement gibt es in Österreich", wie die Arbeits- und Sozialpsychologin Nicole Kronberger von der Uni Linz erklärte. In Studien habe man aber herausgefunden, dass geistige Leistungssteigerung zwar ein "unbekanntes Thema, aber ein bekannter Wunsch ist". Befragte berichteten über verschiedenste Praktiken und "Mittelchen", allerdings auch über große Skepsis bezüglich des Einsatzes von Medikamenten. Öfters hätten die Forscher die Aussage gehört, dass das hierzulande noch kein Thema sei, es aber in Zukunft aus Großbritannien oder den USA auch auf Österreich überschwappen könnte. (APA, 17.2.2016)