Der mit dunklem Kümmelsaftl umkränzte Schweinsbraten wird samt einem wahrhaft grandiosen Erdäpfelknödel serviert.

Foto: Majken Corti

Christiane Goller (vorn) und Karl Lind (hinter der Schank) haben dem Weinviertel ein Wirtshaus geschenkt.

Foto: Majken Corti

Das Weinviertel ist aus vielen Gründen eine der herzzerreißend schönsten Gegenden des Landes. Dass man dort auch anständig etwas zu essen bekommt, ist aber keiner davon. Okay, wer sich mit Buschenschankkalendern auskennt, wird schon einen verrauchten Keller samt garniertem Brot finden, das ihn davor bewahrt, völlig vom Fleisch zu fallen. Aber ordentliche Wirtshäuser, in denen Ort und Zeit ohne Chichi auf dem Teller zusammenfinden? Fehlanzeige.

Die scheinen hier nur als Ruinen zu existieren oder als untote Inkarnationen jenes Behübschungsgeistes, der sich in den 80er- und 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in naturholzfarbener Neorustikalität samt grellbunter Polsterung manifestierte und auf dem Teller vorzugsweise dadurch auffiel, dass Fertigprodukte mittels sirupös kreativer Zeichenführung des jeweiligen Küchenknechts behübscht wurden.

Das letzte gestandene Wirtshaus

In so einer Situation muss die Meldung, dass zwei Wiener in Eggenburg ein altes Wirtshaus wiederbelebt haben, schon aus prophylaktischen Gründen mit Euphorie begrüßt werden. Noch dazu nicht irgendwer: Karl Lind, aus dem nahen Engelsdorf gebürtig, hat auf dem Spittelberg lange Jahre das Lux betrieben, seine Lebensgefährtin Christiane Goller war Kulturchefin des aktuellen Dienstes bei Ö1.

Als die gemeinsame Tochter schulpflichtig wurde, beschlossen sie, die wichtigen Hauptstadtjobs sausen zu lassen und aufs Land zu ziehen. Binnen kurzem war klar, welche Aufgabe da auf sie wartete: Mit dem Gasthof Seher war das letzte halbwegs gestandene Wirtshaus auf dem prächtigen Eggenburger Hauptplatz geschlossen worden, ein Verein bemühte sich darum, es wenigstens sporadisch zugänglich zu halten.

Nach ein paar Monaten – und nachdem mit Ladislav "Leo" Bajcar ein fähiger Koch aus dem nahen Znaim gefunden wurde – war klar, dass Goller und Lind ein neues Baby hatten. Der Seher ist auf ersten Blick nicht das hübscheste Wirtshaus, das man sich vorstellen kann: Die prächtige Barockfassade wurde vor ein paar Jahren sehr grün gestrichen, die Gaststube atmet den Geist der 1970er, ist aber Nichtraucher, der tolle Innenhof wurde mit Beton gepflastert.

Aber im ersten Stock gibt es Extrazimmer mit tollem Blick auf den Platz, mit Stuck an der Decke und mächtigen, stark bedienten Eichendielen auf dem Boden. Goller und Lind haben schon einen Plan, wie sie auch hier Essen servieren und die aus der Zeit gefallene Stimmung dieser Zimmer erlebbar machen werden.

Ein Knödel, groß

Die Speisekarte ist umfangreich, nicht alles kann die Erwartungen so voll erfüllen, wie der vor Saft strotzende, mit dunklem Kümmelsaftl umkränzte Schweinsbraten samt einem wahrhaft grandiosen Erdäpfelknödel. Erdäpfelsuppe mit Schwammerl ist so dick, dass der sprichwörtliche Löffel drin stecken bleibt, außerdem ist sie vom Aroma getrockneter Schwammerl erfüllt, großartig.

Rote-Rüben-Carpaccio mit Spinatpesto hingegen gehört ganz offensichtlich nicht zu den Leibspeisen des Kochs: So fad und ausgelutscht muss man das erst einmal hinkriegen. Dafür ist die klassisch in Wurzelrahm geschmorte Kaninchenkeule tadellos, statt Speckserviettenknödeln sollte man sich aber auch dazu einen dieser Kartoffelknödel bestellen.

Nicht anders als großartig gelingt der "Original Znaimer Spieß", mächtige, saftig gegrillte Happen vom Schweinsfilet mit Speck und Salzgurke gefüllt und mit Braterdäpfeln serviert. Hinterher sollte man noch ein bissl Platz haben, die Mohnnudeln mit Hollerröster sind es wert, auch Topfenschnitte mit Eierlikör sah aus, als könne sie's. Große Auswahl lokaler Weine und, was nicht nur den Böhmen in der Küche freut, Hadmar vom Fass. (Severin Corti, RONDO, 1.4.2016)