Der Baaltempel am 14. März 2014 (oben) und – am 27. März 2016 (unten). Im September 2015 sprengte der "Islamische Staat" das Bauwerk.

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Das zerstörte Museum in der antiken Stadt Palmyra.

Foto: AFP/Handout/ Syrian Arab News Agency (SANA)

Auch wenn sich der "Islamische Staat" (IS) auf das angebliche Bilder- und Götzenverbot im Islam beruft, um mache seiner Taten zu rechtfertigen, wäre es zu kurz gefasst, religiöse Gebote als alleiniges Motiv für dessen Kulturvandalismus verantwortlich zu machen. Es handelt sich um eine "kulturelle Säuberung", die die Diversität, Identität und Geschichte des Landes und seiner Bewohner vernichten soll, um sie mit einem auf die eigene Ideologie abgestimmtem Narrativ zu ersetzen. Es ist ein Propagandainstrument, um von eigenen Schwächen abzulenken, aber auch eine nachhaltige Zerstörung der finanziellen Grundlage Syriens, das vor dem Bürgerkrieg ein florierendes Touristenland war. Der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt betrug 2010 11,17 Milliarden US-Dollar und gab 18,9 Prozent der Syrer Arbeit, Tendenz stark steigend. Außerdem sollte unter keinen Umständen vergessen werden, dass es sich nicht nur um das syrische, sondern um das Kulturerbe der gesamten Menschheit handelt. Die antiken Stätten des Nahen Ostens sind die Wiege der Zivilisation, auf die unser aller Kultur aufbaut.

Verloren oder erneuerbar?

In Anbetracht der identitätsstiftenden und wirtschaftlichen Funktionen des Kulturerbes stellt sich die Frage, wie man nach dem bewaffneten Konflikt mit diesen Zerstörungen umgehen soll. Dass die Zerstörung von Kulturerbestätten nicht zwingend deren Ende bedeuten muss, zeigen die rekonstruierte Dresdner Frauenkirche und die Alte Brücke in Mostar. Kulturgüterschutz-Charters sprechen sich zudem für die Rekonstruktion von durch Kriege zerstörten Kulturerbestätten aus, solange nicht Unsicherheit über deren ursprünglichen Zustand herrscht. Für viele Stätten in Syrien würde durch archäologische Dokumentation und unzählige Fotos genügend Information zur genauen Rekonstruktion vorhanden sein. Bereits jetzt werden mittels Crowdsourcing von Fotos detailgetreue 3D-Modelle von zerstörten Monumenten und Artefakten hergestellt.

Doch worin liegt der Sinn, zerstörte Kulturgüter wieder zu errichten? Liegt deren Wert nicht im Alter des Materials? Strahlen Kopien nicht, wie bereits Walter Benjamin vor mehr als hundert Jahren postuliert hat, keinerlei "Aura" aus? Falls dem so wäre, warum sind Kulturerbestätten Südostasiens für uns faszinierend und exotisch, obwohl diese aufgrund ihrer Holzarchitektur seit Jahrhunderten immer wieder abgerissen und neu gebaut werden? Warum ziehen die Höhlenkopien von Lascaux und Chauvet jährlich hunderttausende Besucher an? Dass der Wert dieser Monumente nicht nur an deren physischen Überresten hängt, sondern daran, was sie symbolisieren, kann nicht geleugnet werden. Von Platons Ideenlehre über das Theseus-Paradoxon bis hin zur Simulationstheorie von Jean Baudrillard wird der Symbolwert seit jeher über den materiellen Wert gestellt.

Aus der Not eine Tugend machen

Falls Palmyra wirklich rekonstruiert werden sollte, ist es unabdingbar, die lokale Bevölkerung in diesen Prozess einzubinden und experimentalarchäologisch vorzugehen, um wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Wiederaufbau zu erlangen. Damit kann man zum Beispiel nicht nur alte Methoden der Steinbearbeitung wiederbeleben, sondern gleichzeitig eine neue Generation von Konservatoren aus der lokalen Bevölkerung ausbilden, welche von der neugeschaffenen Arbeit profitieren, ihre Identität an das Kulturerbe knüpfen und sich somit um die noch vorhandenen Ruinen kümmern. Man erschafft nicht nur Rekonstruktionen, sondern auch Perspektiven.

Dieser Ansatz wird bereits in Timbuktu bei zerstörten Schreinen und Mausoleen angewandt, die unter Leitung der Unesco von lokalen Handwerkern möglichst originalgetreu wiedererrichtet wurden.

Gegen das Vergessen

Jedoch muss angenommen werden, dass für viele Stätten weder genug Informationen für den Wiederaufbau vorliegen, noch dass die Kosten durch das Ausmaß der Zerstörung selbst mit internationaler Kooperation nicht zu decken sind. Zudem wird sich die Frage stellen, ob man Ruinen wieder zu Ruinen rekonstruieren soll. Ob man sich nun für oder gegen Rekonstruktionen entscheidet, es ist essenziell, dass die Zerstörung mittels Mahnmalen und Museen vor Ort thematisiert wird, um aus diesen dunklen Momenten der Geschichte zu lernen und sicherzustellen, dass die Zerstörungen nicht in Vergessenheit geraten. Ein modernes Beispiel wäre etwa das nicht umstrittene 9/11 Memorial & Museum in New York.

Wie auch immer die zukünftigen Lösungen aussehen werden, Pläne für den Wiederaufbau Syriens müssen unbedingt die Kulturerbestätten miteinbeziehen. Diese können einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur langfristigen Stabilisierung der Region leisten – und deren Erbe sollte von uns allen bewahrt werden. Palmyra geht uns alle an. (Christoph Doppelhofer, 31.3.2016)