In den sozialen Netzwerken werden seit einiger Zeit die Lippen herangezoomt. Münder, mal matt, mal glänzend geschminkt, werden in Nahaufnahme inszeniert. Meist geht es allerdings nicht allein um Schmoll- und Kussmünder, sondern auch um das Darüber: das Steinchen, das in der Rille über der Oberlippe sitzt. Dessen Name: Medusa-Piercing, erst in den 1990er-Jahren erfunden. Irgendwas jedenfalls muss dran sein an dem Stecker Oberkante Oberlippe, manchmal ergänzt um ein ganzes Heer an metallener Konkurrenz im Gesicht, manchmal um ein einziges Septum, das durch die Nase gezogen wird. Über 110.000-mal wurde der Hashtag #medusapiercing auf Instagram bereits vergeben. Weit abgeschlagen das #madonnapiercing mit 8.200 Einträgen, obwohl nur einige Millimeter seitlich versetzt.

Die Erfolgsgeschichte des Medusensteckers ist aber nur bedingt nachvollziehbar. Ein Piercing über der Oberlippe gilt erstens als besonders schmerzhaft und sieht zweitens nicht wahnsinnig zeitgemäß aus. Oft wird es mit schweren Tunnels in den Ohren, Tätowierungen, sichelförmig gezupften Brauen und pinkem Haarschopf kombiniert.

"Bravo Girl" ist da anderer Meinung, warnt aber: "Das neue Trend-Accessoire sieht zwar richtig cool aus, aber Du solltest wissen, dass das Piercing natürlich eine kleine Narbe hinterlässt, die an dieser mittigen Stelle im Gesicht kaum zu übersehen ist."

Emy Anderson

Das Septum, das Ringerl Rebellentum, das sich zuletzt Popstars und Models umhängten, hat jedenfalls Konkurrenz bekommen. Das Medusa-Piercing kommt auf den ersten Blick dezenter daher, hat aber auch deshalb bislang wenige prominente Anhängerinnen, weil es jene feine Narbe oberhalb der Lippe hinterlässt. Die Unvergänglichkeit des Medusa-Piercings mag der längerfristigen Verbreitung des Steckers einen Dämpfer verleihen. Wer will sich heute schon so wirklich festlegen? (Anne Feldkamp, 2.6.2016)