Mit strengeren Zumutbarkeitsgrenzen würden Arbeitslose schneller einen Job bekommen, glaubt ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka. Auch eine Kürzung der Mindestsicherung stellte er erneut zur Diskussion.

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Soziologe Jörg Flecker von der Uni Wien ist die Debatte leid. Statt Arbeitslosigkeit zu bekämpfen werde nur gegen die Arbeitslosen Stimmung gemacht – eine Gruppe die sowieso ein schweres Schicksal habe.

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STANDARD: Herr Flecker, lehnen Arbeitslose Jobs zu leichtfertig ab?

Flecker: Diese Debatte ist eher unerfreulich, weil immer versucht wird, die Schuld an der hohen Erwerbslosigkeit den Erwerbslosen zuzuschieben. Das ist eine Bekämpfung der Arbeitslosen und nicht eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Man fragt sich, warum es immer wieder zu diesen Diskussionen kommt. Es kann natürlich sein, dass von der Problematik der Arbeitslosigkeit abgelenkt werden soll, oder es steckt mehr dahinter.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Flecker: Je größer der Druck auf Arbeitslose ist, desto eher müssen sie schlecht bezahlte, gesundheitsschädigende und unsichere Arbeit annehmen. Das ist ein Versuch, den Niedriglohnsektor noch weiter auszuweiten und durchzusetzen, dass jede Arbeit angenommen wird.

STANDARD: Ihr deutscher Kollege Klaus Dörre beschreibt, dass in Deutschland genau das passiert ist.

Flecker: In Deutschland ist der Sektor um einiges größer als in Österreich. So gravierend ist es hier noch nicht, da wir auch andere soziale Absicherungen wie die Notstandshilfe und Kollektivverträge haben.

STANDARD: Momentan wird an manchen sozialen Absicherungen aber gerüttelt ...

Flecker: Ja – und das gerade in einer Zeit hoher Erwerbslosigkeit. Aus wirtschaftspolitischer Sicht müsste man umgekehrt agieren und das Arbeitslosengeld anheben, weil dadurch die Nachfrage erhalten bliebe. Wenn Leute wählerischer sein könnten beim Annehmen eines Jobs, dann würden sie auch ihre Qualifikation nicht so schnell verlieren. Wenn eine Facharbeiterin einen Hilfsjob annehmen muss, wird sie später nicht mehr als Facharbeiterin arbeiten können.

STANDARD: Die Arbeitslosen können auf Vorwürfe ja nur schwer reagieren, es gibt keine Lobby.

Flecker: Sie können als Gruppe kaum handeln, denn niemand will dazugehören. Deswegen kann man leichter gegen sie Politik machen – glaubt man zumindest. Aber es sind sehr viele Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen – im Laufe des Jahres sind es eine Million Menschen.

STANDARD: Wieder taucht diesen Sommer aber das Bild des Sozialschmarotzers auf.

Flecker: Das ist purer Populismus und eine autoritäre Politik. Man schaut nur auf die leistungsstarken Menschen und versucht die anderen auszugrenzen.

STANDARD: Die eine Seite will mehr Druck auf die Arbeitslosen ausüben, die andere Seite fordert höhere Löhne.

Flecker: Es ist ein Irrtum, dass es einen großen Abstand zwischen Transferzahlungen und den Löhnen braucht. Geld ist nicht der einzige Grund, aus dem Leute Erwerbsarbeit annehmen. Da gibt es viele andere Gründe: Sozial eingebunden sein, etwas Wichtiges tun. Höhere Löhne würden aber dafür sorgen, dass sich Menschen aussuchen können, was sie arbeiten. Das wiederum erzeugt Druck in Richtung Qualität der Arbeit. Dass sich die Bedingungen hier ständig verbessern, müsste ja auch ein Ziel sein.

STANDARD: Sie plädieren ja für eine kürzere Wochenarbeitszeit.

Flecker: Es muss nicht unbedingt die Wochenarbeitszeit sein, aber Arbeit muss anders verteilt werden. Viele arbeiten lange und intensiv, andere gar nicht. Seit den 80ern ist die Arbeitszeitverkürzung ausgesetzt, vorher hat es das immer wieder gegeben.

STANDARD: Die Diskussion geht aber in Richtung Verlängerung der Arbeitszeit.

Flecker: Man sollte die Debatte über Arbeitslosigkeit ganz anders führen: Sich ja auch fragen, was man für die Menschen an sinnvoller Beschäftigung braucht. Stattdessen wird immer davon ausgegangen, dass die Menschen für die Wirtschaft da sein sollen. In einem reichen Land muss man sich überlegen können: Wie wollen wir leben? Und was macht ein gutes Leben aus? Da gehört sicher auch Erwerbsarbeit dazu, aber eben gute Arbeit und nicht jede Arbeit. Zugleich sollte über Verteilung diskutiert werden – es sollen alle an der Gesellschaft teilhaben können, sozial, aber auch materiell. Erwerbslosigkeit ist an sich schon ein schweres Schicksal – mit psychischen und physischen Folgen. Dass wir nicht in der Lage sind, alle zu beschäftigen, ist ein Fehler in der Wirtschaftsordnung, da muss sich etwas ändern.

STANDARD: Zusätzlich sorgen die Flüchtlinge ja auch für Druck auf die Gruppe der Arbeitslosen. Auch hier wird diskutiert, Leistungen zu streichen bzw. Menschen schnell zu einer Arbeit zu bringen – siehe die aktuelle Debatte um Ein-Euro-Jobs.

Flecker: Das ist die nächste Spaltung: Verschiedene Kategorien von Menschen hernehmen und sagen, dass es den einen zusteht und den anderen nicht. Das ist eine ganze schwierige Diskussion, weil von vornherein angenommen wird, dass diejenigen, die schon länger da sind, mehr Ansprüche haben. Auf der anderen Seite weiß man aber, dass Migrantinnen und Migranten in Österreich mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie herausbekommen. Es ist aber klar, dass man eine Solidargemeinschaft irgendwo abgrenzen muss und fragen muss, wer dazugehört und wer nicht. Es ist eine sehr heikle Frage, mit der nicht sehr verantwortungsvoll umgegangen wird. Es kann sich ja niemand wünschen, dass man Menschen in die Prostitution oder Kriminalität treibt. (21.8.2016)