Was sind die Gründe für die Lohnschere? Katharina Hermann liefert einige Denkanstöße.

Foto: Yuri Minaev

Sie setzt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Gleichberechtigung und der Lohnschere auseinander und wird Ihre Postings in einem weiteren Beitrag diskutieren.

Warum sind Führungspositionen, Einkommen und Betreuungsarbeit in Österreich nach wie vor so ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt? Die Ursachen und Lösungen dieser Problemstellungen sind meiner Erfahrung nach vielschichtig. Dieser Eindruck deckt sich auch mit dem der Wissenschaft. Die Statistik Austria sprach bereits 2014 davon, dass sich ein Teil des Einkommensunterschieds durch beobachtbare Faktoren wie Bildung, Branche und Alter erklären lässt. In den Branchen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten, gibt es niedrigere Durchschnittsgehälter und tendenziell wählen Frauen auch eher diese Branchen. Die Frage der Kausalität ist hier nicht genau geklärt. Erwiesen ist jedoch, dass ab einem Schwellenwert von etwa 60 Prozent Frauenanteil in einer Branche Löhne signifikant niedriger sind. Klassische "Frauenberufe" werden gesellschaftlich als weniger wertvoll eingeschätzt – und das bei einem deutlichen Frauenüberhang in Berufsfeldern wie Kinderbetreuung und Krankenpflege. Der Großteil der Lohnschere ist jedoch strukturellen Faktoren wie der "gläsernen Decke" und der ungleichen Aufteilung der Betreuungsarbeit geschuldet.

Fakt ist: Je höher die Hierarchieebene in einem Unternehmen ist, desto weniger Frauen sind dort zu finden. In der Vorstandsetage sind es 4,9 Prozent: In absoluten Zahlen sind lediglich neun der insgesamt 196 Vorstandsmitglieder der börsennotierten Unternehmen Österreichs Frauen. Dazu passt, dass sich der Gender Pay Gap 2014 in Österreich auf 22,9 Prozent belief. Das World Economic Forum stellt dazu fest, dass die Gleichberechtigung in Bezug auf Einkommen erst in etwa 81 Jahren gegeben sein wird. Und: Dort, wo Ungleichheit zwischen Männern und Frauen besonders hoch ist, wächst auch die Wirtschaft langsamer.

Vor diesen Zahlen und Fakten kann und soll man nicht mehr die Augen verschließen. Für mich ist deshalb klar, dass es angesichts der tiefen Umwälzungen des Arbeitsmarkts unumgänglich ist, Gleichbehandlung als Chance zu begreifen. Es gilt beispielsweise als erwiesen, dass gemischte Führungsteams aus Männern und Frauen bessere Entscheidungen treffen und für ein angenehmeres Arbeitsklima sorgen – und darüber hinaus erzielen Unternehmen mit vielschichtigen Diversity-Maßnahmen höhere Gewinne.

Quoten können als Katalysator wirken

Der Weg zu einer gleichen Verteilung der Einkommen ist lang, denn zu diesem Thema gibt es aus meiner Erfahrung heraus leider keine einfachen Antworten. Sowohl seitens der Wirtschaft als auch seitens der Politik müssen Maßnahmen ergriffen werden, damit wir auf eine Gleichstellung nicht noch 81 Jahre warten müssen. Idealerweise ist eine Quote nicht nötig. Wenn allerdings jahrelang nichts oder zu wenig passiert, dann kann eine Quote den nötigen Anschub für Veränderung geben. Sie wirkt dann wie ein Katalysator, der Entscheider dazu zwingt, sich wirklich mit dem Thema zu beschäftigen und auch über naheliegende Lösungen hinauszudenken. Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist neben einer eventuell eingeführten Quote meiner Meinung nach ein ganz zentraler Schlüssel: Viele Frauen verlieren mit der Geburt ihres Kindes den Anschluss und steigen über Teilzeitpositionen wieder ein. Hier helfen Programme wie Tandemmodelle oder eine Rückkehrgarantie auf dieselbe Stelle. Die Politik kann bei der Einrichtung von flächendeckenden Ganztagsschulen ebenfalls entscheidende Impulse setzen.

Aber nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern auch die Sozialisierung und mehr oder weniger bewusst tradierte Rollenbilder spielen eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, den Gender Pay Gap zu erklären. Auch der sogenannte Confidence Gap zwischen Männern und Frauen darf nicht übersehen werden: Männer bewerben sich für Positionen, auch wenn sie nicht alle Anforderungen erfüllen – Frauen bewerben sich nur, wenn sie der Meinung sind, sie würden allen Anforderungen gerecht. Das kann ich auch aus meiner Praxis bestätigen: In Jahresgesprächen beobachte ich häufig, dass Männer in der Regel ihre Karriereambitionen deutlich klarer formulieren als Frauen, im Gegensatz dazu wollen Frauen nicht das Gefühl vermitteln, sie seien mit dem jetzigen Job unzufrieden. Frauen sind oft unsicher, ob sie für einen Job geeignet sind, Männer hingegen teilen diese Befürchtung selten.

In den vergangenen Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Erklärung "Wir wollten ja eine Frau für die Position, haben aber keine geeignete gefunden, sodass wir einen Mann nehmen mussten" oft nur eine Entschuldigung für zu wenig Willen ist. Als ich CEO in der ING-DiBa in Österreich war, mussten wir in einem Jahr drei Frauen im Management ersetzen – unter anderem wegen Schwangerschaft und eines Wechsels an einen anderen Standort. Die ersten Vorschläge, die ich für die Nachfolge bekam, waren allesamt Männer. Das akzeptierte ich nicht und ließ nochmals suchen. Das Ergebnis war, dass alle drei Positionen mit bestens geeigneten Frauen nachbesetzt werden konnten.

Väterkarenz und Vereinbarkeit als Schlüssel

Österreich ist nicht nur in Sachen Einkommensungleichheit zwischen Männern und Frauen einer der EU-Spitzenreiter. Auch das österreichische Karenzsystem ist in seiner jetzigen Form wenig dienlich, wenn es darum geht, Frauen den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern.

Ein zentraler Punkt bei der Vereinbarkeit von Karriere und Privatleben ist die Väterkarenz: Diese nimmt in Österreich zwar langsam zu, allerdings wird sie hierzulande immer noch als finanzieller und karrieretechnischer Nachteil gesehen. In Schweden ist das Karenzsystem ähnlich aufgestellt wie in Österreich, jedoch gibt es zwischen diesen beiden Ländern signifikante Unterschiede bei der Geschlechterverteilung: Während hierzulande nur acht Prozent der Väter in Karenz gehen, nehmen dieses Angebot in Schweden rund 90 Prozent der männlichen Berufstätigen in Anspruch. Und das über alle Ebenen hinweg – vom Teilzeitangestellten bis hin zum Chef.

Dass sich die Väterkarenz hierzulande nur schleppend durchsetzt, ist teils der Unternehmenskultur geschuldet, aber auch der traditionellen Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen – vor allem dann, wenn das erste Kind da ist. Von einer gleichen Aufteilung der unbezahlten Betreuungsarbeit sind wir in Österreich definitiv noch weit entfernt. In unzähligen Studien wird aufgezeigt, dass Haus- und Erziehungsarbeit in Österreich nach wie vor Frauensache ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es seitens der Politik größere Anreize für Männer braucht, Karenzzeit zu nehmen, andererseits müssen Unternehmen die Väterkarenz auf allen Ebenen stärker mittragen. Jobgarantie – auch für Führungskräfte –, Zuschüsse für die Kinderbetreuung und das Hervorheben von Positivbeispielen können hier helfen.

Klischees überwinden und Vorbilder finden

Es ist essenziell, diese Themen aktiv ins Bewusstsein zu rufen und Ungleichgewichte offen anzusprechen, statt sie zu ignorieren oder gar zu leugnen. Das gilt nicht nur für Unternehmen oder politische Entscheidungsträger, sondern greift viel breiter. Das fängt in der Schule an und geht bis zum alltäglichen Medienkonsum und zu den Bildern, die dort vermittelt werden. Hier gilt es, sich einfach nicht mehr mit abgedroschenen Klischees zufriedenzugeben. Wenn weibliche Vorstände zurücktreten, wird in entsprechenden Artikeln beispielsweise darauf herumgeritten, dass es sich um eine Frau handelt, und es wird nach entsprechenden Erklärungen gesucht. Wenn Männer zurücktreten, sind die konkreten Beweggründe nie ein besonderes Thema. Hier gilt es auch aufseiten der Medien, vieles aufzuholen.

Andererseits hilft es enorm, dass es konkrete Vorbilder wie beispielsweise Angela Merkel gibt. Das Parteibuch ist für diesen Beitrag irrelevant. Es geht schlicht darum, dass sie sich Anerkennung verschafft hat und dazu beiträgt, dass es zur Normalität wird, dass eine Frau Bundeskanzlerin ist. Als sie Kanzlerin wurde, gab es im Radio eine Satire, die mit "eine Frau geht seinen Weg" eingeleitet wurde. Hier sieht man, dass es noch immer als eine Sensation gehandelt wird, wenn eine Frau eine derartige Position einnimmt.

Erste Schritte auf einem langen Weg

Was können wir also tun, damit in Österreich Gehaltsunterschiede für gleiche Arbeit beseitigt werden und Aufstiegschancen nicht mehr vom Geschlecht abhängig sind? Ich halte es für absolut entscheidend, dass es in einem Unternehmen ehrliche, aufrichtige Absichten vom Vorstand abwärts gibt. Das Thema Gleichstellung muss auf der firmeninternen Agenda ganz oben angesiedelt werden. Schließlich liegt es an den Entscheidern, etwas zu tun, damit sich etwas ändert. Egal ob Personalentscheidungen zu treffen sind, Gehaltserhöhungen anstehen oder Anstellungen besprochen werden – es gibt immer wieder Momente der Wahrheit, in denen das Thema Gleichbehandlung relevant ist.

Schlüsselfaktor ist für mich aber nicht die Bezahlung, sondern vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine echte Jobgarantie, die breitere Akzeptanz der Väterkarenz und ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen sind Hebel, die Politik und Wirtschaft jetzt in Gang setzen müssen. Essenziell ist es, dass schon heute Maßnahmen gesetzt und die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, denn deren positive Auswirkungen werden erst auf längere Sicht deutlich. (Katharina Herrmann, 17.10.2016)