Clemens Schick trägt einen Anzug von Prada, ein Hemd von Dries Van Noten, der Ledermantel und die Schuhe sind von Bottega Veneta.

Foto: Jork Weismann

Das Hemd ist von Haider Ackermann, die Jacke von Louis Vuitton und die Hose von Bottega Veneta.

Foto: Jork Weismann

Das Jacket ist von Wendy & Jim, der Pulli von Umit.

Foto: Jork Weismann

Der eisblaue Rolli ist von Jotex, die Hose von House of the Very Island.

Foto: Jork Weismann

Das Fotoshooting ist vorbei, und Clemens Schick hat Hunger. Caesar Salad steht auf der Karte des Restaurants am Wiener Rudolfsplatz. Der Berliner Schauspieler ist in der Stadt, um seinen neuen Film zu promoten, einen von Valentin Hitz meisterhaft inszenierten Science-Fiction-Thriller. Darin spielt Schick einen Versicherungsagenten, der Todesversicherungen verkauft. Wer keine abschließt, dessen Körper wird nach dem Ableben wahlweise zum Ersatzteillager, zum Informationsspeicher oder zur Gebärmaschine. Es ist ein düsteres Bild von Wien, das hier gezeichnet wird – mit einem Hauptdarsteller, der einen frösteln lässt.

Clemens Schick (44) hat Übung in der Darstellung finsterer Gesellen. Seit er 2006 im "Bond"-Streifen "Casino Royale" einen der Bösewichte spielte, gehört er zur ersten Riege deutschsprachiger Schauspieler. Doch darum geht es jetzt nicht, der Salat steht auf dem Tisch, Schick will über "Stille Reserven" sprechen. Als Aufwärmübung gibt es einige Fragen zu seinen Outfits.

STANDARD: Sie tragen oft Anzüge. Gibt Ihnen das Sicherheit?

Clemens Schick: Wenn ich beruflich unterwegs bin, stimmt das. Ich mag es, eine Uniform zu tragen. Das hat mit Haltung zu tun, wenn ich zum Beispiel auf eine Premiere gehe. Privat trage ich selten Anzug, da gibt es auch kaum Fotos von mir.

STANDARD: Welche Haltung drücken Sie mit einem Anzug aus?

Schick: Ich spreche von Haltung gegenüber der Arbeit, gegenüber meinen Kollegen. Ich drücke dadurch Respekt aus. Und es hat damit zu tun, dass ich nicht als Privatperson auf dem roten Teppich stehe.

STANDARD: Die Figur, die Sie in "Stille Reserven" spielen, trägt ausschließlich Anzüge.

Schick: Bei Vincent Baumann, der Figur die ich spiele, geht es weniger um Haltung als um eine bestimmte Form. Er könnte gar nichts anderes tragen, sein Kostüm ist genau so unemotional, genauso unlebendig wie er selbst.

STANDARD: Ihr Spiel in dem Film hat etwas Roboterhaftes. Hilft Ihnen der strenge Anzug bei der Darstellung?

Schick: Natürlich. Es ist ein Zusammenwirken aus Kostüm, der strengen Frisur, dem glattrasierten, fast maschinenmäßigen Gesicht. In Kombination mit der unwirklichen Szenerie ergibt das eine ganze Palette sinnlicher Eindrücke, die dabei helfen, das Spiel zu erschaffen.

STANDARD: Die vielen Tattoos von Herrn Baumann verdeutlichen die Brüche dieser Person. Es sind Ihre eigenen, oder?

Schick: Ja, mein erstes Tattoo habe ich mir vor zwölf Jahren stechen lassen. Tattoos sind für mich Ausdrucksmittel für wichtige Erlebnisse in meinem Leben. Jedes Tattoo hat eine Geschichte, steht für jemanden, den ich zum Beispiel verloren habe. Man kann natürlich fragen, ob das ein geeignetes Ausdrucksmittel für einen Schauspieler ist, aber es ist jetzt mal so. In vielen Filmen werden sie einfach weggeschminkt.

STANDARD: Der Körper ist ein wichtiges Kapital von Schauspielern.

Schick: Sänger und Schauspieler haben eines gemeinsam: Wir sind unser eigenes Instrument. Das bedeutet: Mein Leben hat Einfluss auf mein Instrument. Das gibt es in dieser Form bei anderen Berufen nicht. Das ist etwas sehr Schönes, hat aber auch Konsequenzen. Ich weiß, was ich esse, was ich trinke, hat Auswirkungen auf meine Figur. Kritik wird oft am Körper festgemacht, damit muss man umzugehen lernen.

STANDARD: Sie stecken in dem Film in einem strengen Korsett. Wie eignet man sich das an?

Schick: Keine Emotionen darzustellen, aber gleichzeitig etwas Brodelndes zu vermitteln, das ist sehr schwer. Ich habe sehr früh den Text gelernt, damit ich ihn fast maschinenartig rausschießen konnte. In der Vorbereitung habe ich den Film Prometheus gesehen, in dem Michael Fassbender einen hochentwickelten Androiden spielt. Diese Sehnsucht nach dem Unmenschlichen, da hat es bei mir klick gemacht. Baumann hält es nicht aus, unmenschlich zu sein. Sämtliche Medikationen, die er nimmt, um sich davor zu schützen, menschlich zu sein, nützen nichts.

STANDARD: Für den Film "Hunger", in dem er ein IRA-Mitglied im Hungerstreik spielt, hat Michael Fassbender über 20 Kilo abgenommen. Wie weit gehen Sie für Ihre Rollen?

Schick: Ich liebe es, Grenzen auszuloten. Das ist eines der großen Geschenke der Schauspielerei: Dinge zu machen, die man sonst vielleicht nicht machen würde. Für den Film Largo Winsch II bin ich 30-, 40-mal aus 5000 Metern aus dem Flugzeug gesprungen. Man riskiert dabei, ums Leben zu kommen. Ich war auch schon zweimal in Afghanistan, um für Soldaten Theater zu spielen. Auch da bin ich lebensbedrohliche Risiken eingegangen. Solche äußerlichen Risiken sind aber letztendlich nicht entscheidend. Entscheidend ist, in eine Figur einzutauchen, und am Anfang nicht zu wissen, wie sie eigentlich ist. Schauspiel ist immer ein Sprung – ohne Sicherheitsnetz.

STANDARD: Ist das die Essenz Ihres Berufs?

Schick: Mir geht es darum, Geschichten zu erzählen. Schon als Kind habe ich das geliebt. Bei Interviews wird einem oft die Frage "Sind Sexszenen schwierig zu spielen?" gestellt. Dabei macht man sich als Schauspieler doch immer nackt, macht die Seele auf, diese Nacktheit ist das viel größere Risiko, als wenn ich ohne Kleider vor einer Kamera bin.

STANDARD: Gibt es Szenen, die Ihnen zu spielen schwerfallen?

Schick: Zu Anfang meiner Karriere war ich ein sehr angstbesetzter Schauspieler. Es hat gedauert, bis ich mich frei gefühlt habe. Es hat mir gefehlt, dass mir jemand Mut gemacht hat.

STANDARD: Warum wird man Schauspieler, wenn man angstbesetzt ist?

Schick: Das ist die Ambivalenz: Lust und Scheu. Der Reiz und das Zurückschrecken. Jeder Schulweg war eine Welt, in die ich eingetaucht bin, die ich mir erfunden habe. Der Weg war das Schönste. Mit zwölf, dreizehn wollte ich Zirkusartist werden, das durfte ich dann nicht. Mit 16 habe ich dann Schultheater gespielt, und da wurde mir klar: Das ist mein Weg.

STANDARD: Sie haben dabei einige Umwege genommen. Sie waren mit Anfang 20 ein Dreivierteljahr im Kloster, wollten Mönch werden, haben dann wieder zur Schauspielerei zurückgefunden. Was ist passiert?

Schick: Ich habe ein Jahr lang studiert, bin dann ins Kloster, habe dann an einer anderen Schauspielschule weiterstudiert. Ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte. Ich war ein so schlechter Schüler, ich hätte mir gar nicht vorstellen können, auf die Uni zu gehen. Ich habe dann zehn Jahre Theater gespielt, zuletzt in Hannover am Staatstheater, in einer absoluten Blütezeit des Hannoveraner Schauspiels. Ich habe die tollsten Rollen spielen dürfen, Richard III, Don Carlos; ich wusste: Eine bessere Spielzeit wird es nicht mehr geben. Da war ich 33. Ich habe mich gefragt: Was kommt jetzt? Probier’s mal mit Film, habe ich mir gedacht. Einen Monat später kam ein großes Angebot.

STANDARD: Eine Rolle als Bösewicht im James-Bond-Streifen "Casino Royale". Andere steigen eine Nummer kleiner ein …

Schick: Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für gutes Handwerk, in jedem Bereich. Ich liebe Techniker, die ein gutes Licht bauen, ich liebe Kameramänner, die tolle Bilder inszenieren, oder Schneider, die einen perfekten Anzug nähen. In einer Bond-Produktion hat man es mit den Besten der Branche zu tun. Was für eine bessere Schule kann es geben? Meine Rolle selbst war nicht groß, aber ich habe geguckt und gelernt, geguckt und gelernt. Und das sechs Monate lang.

STANDARD: Schauspielerisch dürfte "Bond" keine sonderliche Herausforderung gewesen sein, oder?

Schick: Es ging darum, das System Film zu verstehen. Das hat mich geprägt. Auch da geht es um Haltung, um Werte, darum, dass man für seine Rolle alles gibt, dass es keine Allüren gibt, dass es nur darum geht, den besten Film überhaupt zu machen. Es gibt ein altmodisches Wort, das für mich sehr wichtig ist: Demut. Demut gegenüber dem Projekt. Das habe ich bei Bond das erste Mal erfahren.

STANDARD: Das Klischee besagt, dass Schauspieler sehr ichzentrierte Menschen sind. Wie gehen Sie damit um?

Schick: Ich stelle mich in den Dienst der Sache, weiß aber genau, was ich dafür brauche. Schauspiel ist ein wahnsinnig schwieriger Beruf. Es gibt viele Dinge, die einen abhalten, diesen Beruf ausüben zu können. Als Schauspieler muss man empfindlich sein, muss man wach sein. Deswegen muss man als Schauspieler auch sagen, was einen stört. Das Klischee vom empfindsamen Schauspieler hat damit zu tun. Viele Leute, die den Ruf haben, kompliziert zu sein, sind einfach nur sehr genau. Wenn Genauigkeit Allüre wird, es nur mehr ums Ego geht, finde ich das aber ganz furchtbar.

STANDARD: Zurück zu "Stille Reserven": Der Film spielt in der nahen Zukunft. Vieles scheint aber an unsere Gegenwart zu erinnern.

Schick: Wir leben in einer Welt, die immer rationalisierter, immer mehr aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet wird. In dem Film wird das auf die Spitze getrieben, aber dieser Aspekt ist auch in unserer Gesellschaft präsent. Die Menschen in dem Film nehmen Medikamente, um sich von Emotionen zu befreien, weil es nicht als effektiv gilt, emotional zu sein. Ich nehme uns in dieser Blase Europa ähnlich wahr: Wir haben uns angewöhnt, bestimmte Dinge zu ignorieren, um überleben zu können. Wir machen uns emotionslos gegenüber dem Faktum, dass unser Wohlstand nur möglich ist, solange Leute in anderen Teilen der Welt ausgenutzt werden.

STANDARD: Die Szenerie des Films ist spektakulär: Man erlebt viele österreichische Orte in einem komplett neuen Licht.

Schick: Am beeindruckendsten war, als wir in der Dämmerung am Heldentor in Wien gedreht haben. Da waren Checkpoints aufgebaut, da standen Männer mit Waffen und schwarzen Helmen, ein unheimlicher Moment. Viele Szenerien sind natürlich Special Effects. Das Reizvolle an Stille Reserven ist, dass der Film einerseits etwas Futuristisches, andererseits etwas sehr Altmodisches hat.

STANDARD: Er erinnert an "Mad Max".

Schick: Ja. Es ist wirklich erstaunlich, welche Drehbücher und Filme derzeit aus Österreich kommen! Ich mag es, in Blockbustern zu spielen oder in kommerziellen Projekten, ich liebe es aber auch Arthouse-Filme zu machen, auch das hat für mich mit Haltung zu tun.

STANDARD: Das Wort ist Ihnen wichtig.

Schick: Ich engagiere mich, soweit ich kann, politisch, ich engagiere mich menschenrechtlich, bin Botschafter einer Stiftung, die sich um Kinderkrankenhäuser in Südafrika kümmert. Mit der Öffentlichkeit geht Verantwortung einher, und dieser versuche ich gerecht zu werden.

STANDARD: Sie sind vor kurzem der SPD beigetreten. Viele Menschen kehren derzeit Parteien den Rücken, was hat Sie bewogen, den umgekehrten Schritt zu machen?

Schick: Wir leben in einer Zeit, in der populistische Strömungen neue Kraft bekommen und sich Parteien gründen, die mit Ängsten spielen, mit Stimmungsmache. Unsere Demokratie beruht auf Parteien. Wenn wir dieses Parteiensystem nicht beleben, dann müssen wir uns eine Alternative ausdenken, wie Demokratie funktionieren kann. Wir können nicht das Parteiensystem infrage stellen und gleichzeitig die Freiheiten der Demokratie wollen. Das gehört zusammen. Mein Schritt ist der Versuch, die Konsequenz aus dieser Erkenntnis zu ziehen.

STANDARD: Viele der Energien, die früher in Parteien geflossen sind, fließen heute in die Zivilgesellschaft.

Schick: Die Flüchtlingssituation wäre ohne das zivilgesellschaftliche Engagement nicht bewältigbar. Das ist toll, dass es das gibt. Aber Parteien dürfen uns nicht egal sein. Viele denken, wir sind mit ihnen nicht mehr verbunden. Als ich vor deutschen Soldaten in Afghanistan Theater gespielt habe, als sehr links denkender sozialdemokratischer Mensch, habe ich das gemacht, weil ich eine rot-grüne Regierung gewählt habe, die entschieden hat, dass deutsche Soldaten nach Afghanistan gehen. Das ist eine Kausalkette. Dessen müssen wir uns bewusst sein und danach handeln.

STANDARD: Von Künstlern wird gerne eine politische Haltung eingefordert, wenn sich jemand der Parteipolitik zuwendet, bekommt er aber sofort ein Etikett verpasst. Wie gehen Sie damit um?

Schick: Wer Haltung bekennt, macht sich immer angreifbar. Meine Erfahrung der letzten Jahre ist die: Wann immer ich Haltung bekannt habe, hat mich das in der Wahrnehmung der anderen bereichert. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich nie mein Privatleben zur Schau stelle.

STANDARD: Auch nicht, als Sie sich vergangenes Jahr öffentlich geoutet haben?

Schick: Es ging um meine Sexualität, aber nicht um mein Privatleben. Darüber weiß niemand etwas, und das geht auch niemanden was an. (Stephan Hilpold, 21.10.2016)