Reinhold Mitterlehner wollte sich mit einer Bestandsaufnahme der Koalition nicht lange aufhalten.

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Der ÖVP-Chef teilte in seiner Grundsatzrede auch an den Koalitionspartner aus.

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Knapp 600 ÖVP-Anhänger und nahezu die gesamte Parteiprominenz waren zu der Rede erschienen.

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Die Inszenierung der Rede folgte dem Konzept einer Werbeagentur.

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"Es gibt viel zu tun, packen wir es an", sprach der Vizekanzler und ging ab.

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Wien – Mit aktuellen Koalitionsbefindlichkeiten wollte sich der Vizekanzler und ÖVP-Chef gar nicht erst aufhalten. Er beließ es bei einer kurzen Bestandsaufnahme: "Simmering gegen Kapfenberg". Und das ist bekanntlich Brutalität. "Es ist nicht einfach", stellte Reinhold Mitterlehner fest.

Zu seiner Grundsatzrede waren ein paar hundert Menschen in die Akademie der Wissenschaften gekommen, in den ersten Reihen saßen die Regierungsmitglieder und etliche Landeshauptleute, hinter dem Vizekanzler waren junge und adrette Menschen zu einer Kulisse drapiert. Die Inszenierung und der Inhalt dieser Rede folgten dem Konzept, das eine Werbeagentur aufgearbeitet hatte: "Mut. Der bessere Weg" oder "Nur Mut bringt uns weiter", war im Saal zu lesen. Wer es noch nicht verstanden hatte: Die ÖVP will der "Mutmacher" sein und als solcher den "Angstmachern" entgegentreten.

"Auf dem falschen Dampfer"

Die Eröffnung machte Generalsekretär Werner Amon, der gleich einmal Sozialminister Alois Stöger vom Koalitionspartner frontal attackierte: "Sie sind auf dem falschen Dampfer", richtete ihm Amon aus, er möge endlich seine Blockade beseitigen: Die Mindestsicherung dürfe keine Alternative zum Erwerbseinkommen sein – "das ist ungerecht".

Auch Mitterlehner griff in seiner Rede später die Diskussion um die Mindestsicherung auf und verteidigte die Kürzungspläne der ÖVP. Es müsse einen Unterschied zum normalen Arbeitseinkommen geben. Die ÖVP bekenne sich zwar dazu, jenen Hilfe zu gewähren, die eine Überbrückung brauchten, als christlich-soziale Partei müsse man aber auch solidarisch mit jenen sein, die mit ihren Beiträgen und Steuern das gesamte Modell finanzieren. Die Frage, ob er persönlich von 560 Euro monatlich leben könnte, ist für ihn nicht relevant. "Die Frage ist nicht, ob ich das persönlich kann, sondern wie die Lebenssituation ist."

Lehrlingsausbildung für Erwachsene

Mitterlehner lobte ausdrücklich den Einsatz der Zivilgesellschaft für die Integration von Flüchtlingen, warnte aber, dass Flüchtlinge zunehmend in Gefahr geraten, arbeitslos zu bleiben, da sie schlecht ausgebildet seien. Daher sei es auch ein Fehler, dass das AMS für sie zuständig sei, zu 90 Prozent hätten sie keine Ausbildung. Als Konsequenz daraus forderte Mitterlehner die Einführung einer eigenen Lehrlingsausbildung für Erwachsene.

In der Passage zur Arbeitswelt hielt der ÖVP-Chef ein Plädoyer gegen die Umverteilung, er sprach sich dezidiert gegen Maschinensteuer und Wertschöpfungsabgabe aus. "Jeder soll das bekommen, was ihm zusteht." Schulden zu machen, wie er das implizit der SPÖ unterstellte, sei verantwortungslos und unsozial. Mitterlehners Umkehrschluss: "Was man nicht ausgibt, braucht man auch nicht einnehmen."

Nicht auseinanderdividieren lassen

Ebenfalls direkt an die SPÖ und Kanzler Christian Kern gerichtet war Mitterlehners Appell, sich für das Freihandelsabkommen Ceta einzusetzen. "Wer den Freihandel nicht will, der soll auch sagen, dass ihm Arbeitsplätze egal sind." Freihandel bringe Wohlstand. "Nur auf den Weltmärkten liegt unsere Zukunft, unsere Chancen und unser Wohlstand." Die Aussagen Kerns, der gemeint hatte, das Ceta-Abkommen sei Österreich aufgezwungen worden, und er würde das so nicht noch einmal geschehen lassen, bezeichnete Mitterlehner als "Verzwergung der Argumentation". Die EU dürfe sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren lassen.

Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wünscht sich Mitterlehner eine Senkung der Körperschaftsteuer auf Unternehmensgewinne und eine Lohnnebenkostensenkung. Im Gegenzug sprach sich der ÖVP-Chef für eine Ökologisierung des Steuersystems aus – allerdings nur "im internationalen Gleichklang".

Kritik an der EU

Ungewöhnlich kritisch äußerte sich der Vizekanzler über die Europäische Union. "Wir brauchen eine EU, die für große Probleme große Lösungen schafft, aber sich nicht dort einmischt, wo Mitgliedstaaten ihre Probleme mit Subsidiarität besser selber lösen." Der Vizekanzler kritisierte auch, dass EU-Regeln in Österreich noch verschärft würden, etwa Grenzwerte. Man brauche nicht päpstlicher als der Papst zu sein: "Weg mit dem Übererfüllen von EU-Vorschriften."

Prinzipiell brauche es weniger Vorschriften für Bürger und Unternehmen. "Die Wirkung für Bürger sollte im Vordergrund stehen", sagte Mitterlehner, "und nicht der Machterhalt." Daher: "Weg von den Verboten."

Rechte und linke Angstmacher

Mitterlehner verwies in seiner Rede auf die zunehmende Kongruenz von linken und rechten Angstmachern: "Die Rechten in Europa sehnen sich nach einer Rückkehr des Nationalstaates mit eigener Währung bis hin zum völkischen Gedanken. Die linke Seite versucht die Gerechtigkeit mit Gleichheitskonzepten wiederaufleben zu lassen. Der etatistische Gedanke mit der regulierenden Kraft des Staates und mit Regeln im Verbotsbereich hat wieder Saison." Mitterlehner: "Das aber ist nicht unser Weg, wir setzen auf Mut, Vertrauen und Zuversicht."

Mitterlehners Appell und Mahnung, wohl auch an die Regierung gerichtet: "Es gibt viel zu tun, packen wir es an", sprach er und ging ab. (Michael Völker, 21.10.2016)