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Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von T-Zellen (rechts), die der Immunabwehr dienen, auf einer Krebszelle.

Foto: Steve Gschmeissner / Picturedesk

Chengdu/Wien – Mittlerweile vergeht kaum noch eine Woche, in der es keine Neuigkeiten zur wohl vielversprechendsten molekularbiologischen Entwicklung des Jahrzehnts gäbe. Die Geneditierungsmethode CRISPR/Cas9 wird immer konkreter getestet. Der Vorteil des biochemischen Verfahrens: Forscher können damit vergleichsweise einfach defekte Genteile und Mutationen aus der DNA herausschneiden und durch die richtigen Basen ersetzen.

Die Hoffnung ist groß, auf diese Weise etliche Krankheiten behandeln zu können. Vor einigen Monaten kamen deutsche Forscher im Journal of the National Cancer Institute zu der Einschätzung, dass sich mit dem System etwa 80 Prozent der bekannten Mutationen beseitigen ließen, die an der Entstehung von Krebs beteiligt sind.

Ausgetrickste Immunbremse

Nun hat eine chinesische Gruppe im Rahmen einer ersten klinischen Studie einem Patienten mit Lungenkrebs Zellen injiziert, die zuvor durch CRISPR/Cas9 verändert wurden. Zunächst wurden dafür sogenannte T-Zellen aus dem Blut des Erkrankten entnommen. Diese auch als T-Lymphozyten bezeichneten weißen Blutzellen dienen der Immunabwehr.

In den Zellen schalteten die Wissenschafter um Lu You (Sichuan-Universität in Chengdu) ein Gen aus, das für die Codierung des Proteins PD-1 verantwortlich ist. Dieses Protein dient üblicherweise als Bremse der Immunantwort, indem es die Aktivierung der T-Zellen verhindert. Lu und Kollegen vermehrten anschließend die T-Zellen mit dem deaktivierten Bremsmechanismus und injizierten sie dem Patienten in der Hoffnung, dass diese dann die Tumorzellen angreifen.

Wissenschaftlicher Wettlauf

Ergebnisse gibt es noch nicht, die erste Behandlung verlief immerhin ohne Probleme. Geplant ist, im Rahmen der Studie insgesamt zehn Lungenkrebspatienten zwischen zwei und vier Injektionen mit veränderten T-Zellen zu verabreichen. Für den Onkologen Naiyer Rizvi (Columbia University in New York) ist zwar unsicher, ob dieser Weg zum erwünschten Erfolg führt: Der Aufwand, Zellen zu extrahieren, dann zu editieren, zu vervielfältigen und schließlich wieder einzupflanzen, sei enorm, sagte er in "Nature".

Doch die Studie könnte das Potenzial des Verfahrens unter Beweis stellen. In den USA sind erste klinische CRISPR-Tests für Anfang 2017 geplant, eine zweite chinesische Studie soll im März starten. Nach Ansicht des Immunologen Carl June (University of Pennsylvania) könnte das zu einem biomedizinischen Wettlauf zwischen China und den USA führen, in dessen Verlauf die Anwendungen des Verfahrens weiter verfeinert und verbessert würden. (dare, 16. 11. 2016)