Es fehle in Österreich an pädiatrischen Fachärzten bei der Erstuntersuchung, kritisieren Experten. Im Bild die Versorgung eines Kindes in einer Erstversorgungsstelle in Deutschland.

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Wien – Kinderärztin Nicole Grois warnt: "Alles, was wir jetzt unterlassen, wird uns später auf den Kopf fallen." Grois ist eine der Expertinnen und Experten, die rund ein Jahr lang Gesundheitsstandards für Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie in Österreich ausgearbeitet haben. Die Kinderärztin saß am Donnerstag bei einer Präsentation dieser auch von Kinder- und Jugendpsychiatern, Psychotherapeuten, Pädagogen und Sprachwissenschaftern erarbeiteten Standards auf dem Podium. Sie wies darauf hin, dass junge Flüchtlinge aufgrund ihrer finanziellen Situation nur in Kassenordinationen und Spitalsambulanzen behandelt werden könnten, diese aber sowieso schon sehr überlaufen seien.

Die Behandlung eines Flüchtlingskindes nehme in der Ordination doppelt oder dreimal so viel Zeit in Anspruch, die aber nicht vorhanden sei und den Ärzten auch nicht honoriert werde. Hier stütze sich das System auf den guten Willen Einzelner. Der größere Aufwand ergebe sich aus Sprachbarrieren, aber auch aus kulturellen Gründen, da vielen unklar sei, wie hier ein Arztbesuch ablaufe. Außerdem fehlten ein systematischer Impfcheck sowie vorbeugende Grippe- und Meningitisimpfungen in Massenquartieren.

"Völlig übersehen"

Im Herbst vergangenen Jahres war die Politik von der Flüchtlingsbewegung überrascht, erinnerte Klaus Vavrik von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Auf Bedürfnisse der ankommenden Kinder Rücksicht zu nehmen sei damals "völlig übersehen" worden. Daher brauche es – auch im Hinblick auf mögliche weitere Ankünfte in größerer Zahl – eine Koordinationsstelle für die gesundheitlichen Bedürfnisse der Kinder mit Fluchtbiografie. Diese solle zwischen den involvierten Ressorts (Innen-, Integrations-, Bildungs- und Familienministerium) kommunizieren.

Einheitliche Standards

Außerdem solle es bundeseinheitliche Gesundheitsstandards geben. So brauche es bei der Erstversorgung der Kinder – ein Drittel aller Asylsuchenden in Wien– auch pädiatrische Kompetenz. Derzeit seien bei der obligatorischen Erstuntersuchung, die in die Zuständigkeit des Innenministeriums fällt, nur Allgemeinmediziner tätig. Eine Kurzdokumentation mit Informationen über wichtige Befunde solle beim Patienten verbleiben, damit der nächste behandelnde Arzt über Wichtiges Bescheid wisse.

Es brauche auch ein gesichertes, rasch verfügbares Dolmetschsystem, Krisenintervention, therapeutische Angebote und vieles mehr. Auf traumatherapeutische Behandlung etwa müssten Betroffene bei den entsprechenden Stellen derzeit rund ein Jahr warten. Vavrik erinnerte daran, dass es für die psychische Gesundheit auch äußere Sicherheit brauche, die oft nicht gegeben sei.

"Laufend missachtet"

"Flüchtlingskindern geht es nicht so gut wie österreichischen Kindern", fasste Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte zusammen. Dabei gelte für alle Kinder in Österreich, egal woher sie kommen, die Kinderrechtskonvention und damit auch das Recht darauf, nicht diskriminiert zu werden. Schaffelhofer-Garcia Marquez zufolge werden Menschenrechte "laufend missachtet und verletzt".

Auch SOS-Kinderdorf sieht eine rechtswidrige Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, worauf die NGO vergangene Woche mit Verweis auf ein Rechtsgutachten der Uni Innsbruck aufmerksam machte. Unter anderem würden andere Standards in der Kinder- und Jugendhilfe für österreichische Kinder gelten, lautet der Vorwurf. (Gudrun Springer, 17.11.2016)