"Ich habe ja kein Problem mit ihnen, nur die mit mir vielleicht schon", sagt Ingrid Thurnher über die Diskussionen mit den Klubobleuten.

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STANDARD: Am Sonntag moderieren Sie ihr letztes "Im Zentrum". Ist Wehmut im Spiel oder Erleichterung, dass es vorbei ist?

Thurnher: Von beidem etwas. Ohne Wehmut verabschiedet man sich nicht von einer Sendung, die man so lange und so gern gemacht hat. Auf der anderen Seite ist es höchste Zeit für mich, etwas Neues zu machen.

STANDARD: In letzter Zeit hatten manche das Gefühl, dass Sie schon genervt waren. Stichwort: Augenrollen.

Thurnher: Wirklich? (lacht). Ich bemühe mich, meine Mimik unter Kontrolle zu halten, sie wird aber immer stärker mit der Zeit, habe ich das Gefühl. Sie scheint mir manchmal unbewusst zu entgleiten (lacht).

STANDARD: "Im Zentrum" ist ja der politischste Talk im ORF. In dieser exponierten Lage gerät man als Moderatorin schnell zur Zielscheibe von Parteien. Wie sind Sie damit umgegangen?

Thurnher: Natürlich kann man zur Zielscheibe werden. Wir haben unsere Agenda, politische Parteien haben ihre. Nicht immer passen diese Agenden zusammen. Unser Job ist es, die redaktionelle Agenda durchzusetzen. Kollidieren die Interessen, gibt es manchmal Konflikte. Wichtig ist es, dass wir die journalistischen Interessen in den Vordergrund stellen.

STANDARD: Gab es viele Interventionen, wenn beispielsweise eine Partei wieder einmal nicht zu einer Sendung eingeladen wurde?

Thurnher: Na ja, ab und zu gab es schon die Frage: Warum sind wir nicht eingeladen worden? Wir wollten bei "Im Zentrum" von einem Konzept weg, bei dem sich immer alle Parteien mit einem Thema auseinandersetzen. Spannender ist es, ein Thema mit einem Regierungs- und einem Oppositionsvertreter und jemanden aus der Zivilgesellschaft zu diskutieren. Nach dem Motto: Politik trifft Realität. Übers Jahr hat sich das gut ausgeglichen, und wir haben versucht, jene Partei einzuladen, die mit dem Thema am meisten zu tun hat.

STANDARD: Um das konkretisieren: Die Neos haben sich kürzlich aufgeregt, dass sie nicht beim "Runden Tisch" nach der Bundespräsidentenwahl vertreten waren, was sie mit ihrer Anti-GIS-Kampagne in Verbindung gebracht haben. Wie reagieren Sie auf solche Vorwürfe?

Thurnher: Man kann sich die Realität auch zurechtreden oder zurechtdenken. Geht man unmittelbar nach der Bundespräsidentenwahl her und sagt, man lädt die Regierungsparteien ein, weil sie unmittelbar mit dem Bundespräsidenten zu tun haben werden – etwa in der Außenrepräsentation –, und jene zwei Parteien, die ihre Kandidaten im Finale des Wahlkampfs hatten, sind diese Einladungen ja logisch. Warum sollten wir die Neos und das Team Stronach einladen, die bei dieser Wahl komplett außen vor waren? Beleidigt sein wegen einer Unterschriftenaktion, das ist nicht unser Stil.

STANDARD: Eine Stricherlliste nach Parteien gibt also nicht?

Thurnher: Das wäre sinnlos. Wir wollen inhaltlich denken und nicht nach Proporz. Denken wir etwa an Fukushima und Umweltkatastrophen zurück. Das waren Themenschwerpunkte der Grünen. Bei der Flüchtlingsgeschichte war es anders. Es gibt immer Themenkonjunkturen, die Parteien in die Hände spielen. Im langen Schnitt war das ausgeglichen, denke ich.

STANDARD: Freuen Sie sich, dass Sie nicht mehr mit den Klubobleuten der Parteien diskutieren müssen?

Thurnher: Wer sagt Ihnen denn das? (lacht). In ORF 3 gibt es zum Beispiel mit "60 Minuten.Politik" eine wöchentliche Diskussionssendung, in der nach dem bisherigen Konzept immer alle sechs Parteien vertreten waren und es in regelmäßigen Abständen eine Klubobleuterunde gibt. Ich freue mich aber schon sehr, neue Gesichter zu holen und auszubilden. Es wird ja auch Zeit für Nachwuchs, denn es können ja nicht immer die gleichen Gesichter im Fernsehen sein. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich werde wieder auf die Klubobleute treffen. Ich habe ja kein Problem mit ihnen, nur die mit mir vielleicht schon (lacht).

STANDARD: Wer waren die schlimmsten Gäste?

Thurnher: Das sind jene, die nichts zu sagen haben. Es gibt Leute, die sitzen in Diskussionsrunden und reden nur, wenn man sie auffordert und direkt anspricht. Die wollen nicht streiten. Das ist langweilig. Es kann ruhig emotional werden, dann haben die Leute wenigstens was davon, weil sie von unterschiedlichen Ansätzen lernen können.

STANDARD: Kritisiert werden aber jene Gäste, die sich in den Vordergrund stellen und permanent unterbrechen.

Thurnher: Ja, das ist so ein "Wer schimpft, der kauft"-Ding. Bei Expertenrunden, die auf einem sehr hohen Niveau diskutieren, bekommen wir sehr viel Lob – auch in sozialen Medien, merken aber, dass das Zuseherinteresse deutlich geringer ist als bei Runden, über die überall extrem geschimpft wird. Dieser Widerspruch ist extrem auffällig. Die Leute mögen es, wenn gestritten wird. Es sagt ja auch etwas aus, wenn sich die Diskutanten in die Haare kriegen und es bei bestimmten Themen emotional wird.

STANDARD: Bei der letzten Runde haben sechs Männer diskutiert, Frau war keine dabei. Generell: Warum ist der Frauenanteil so gering? Laut ORF liegt er bei 30 Prozent.

Thurnher: Wir haben den Frauenanteil im Vergleich zu vorher deutlich erhöht. Was wir nicht können, ist eine andere Wirklichkeit erfinden. Vor allem in der Politik nicht. Das kann man nicht behübschen. Wenn wir sagen, wir laden die Klubobleute ein und die Grünen Steinhauser statt Glawischnig, die allerdings am selben Tag in der "Pressestunde" war, ins Studio schicken, dann können wir das nicht ändern. Aber bei anderen Runden sitzen immer Frauen. Einfach ist das nicht. Es gibt diesen Spruch: Wenn wir einen Mann anrufen und einladen, sagt der: Ja, ich komme, wann soll ich da sein? Und danach fragt er erst: Ach ja, und um welches Thema geht es eigentlich? Laden wir Frauen ein, fragen sie zehnmal nach und überlegen es sich ganz genau, ob sie uns nicht doch lieber einen männlichen Kollegen empfehlen möchten.

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STANDARD: Expertentum wird als Männerdomäne wahrgenommen?

Thurnher: Nicht immer. Es gibt Themen, da gibt es wahnsinnig viele Frauen. Etwa in der Medizin, der Bildung, aber wenn es um Länder wie die Türkei, den Nahen und Mittleren Osten geht, da wird es ganz schwer. Suchen Sie mal eine Expertin zum Thema Türkei. Da gibt es zwei, drei, und dann ist es aus. Bei der letzten Runde zur Türkei haben wir erfahren, dass viele Frauen nicht ins Studio kommen wollten, weil sie Angst um ihre Sicherheit haben. Sie hatten die Befürchtung, dass ihnen bei Reisen in die Türkei der Pass abgenommen wird und sie nie wieder zurückkönnen.

STANDARD: Ein großer Aufreger war die Moderation eines Duells zur Bundespräsidentenwahl, als Sie Norbert Hofer mit Recherchen zu seiner Israel-Reise konfrontiert haben. Im Anschluss waren Sie Anfeindungen von FPÖ-Politikern und ihrer Anhänger ausgesetzt. Hinterlässt das Spuren?

Thurnher: Ja, das hatte eine besondere Qualität, weil das mit einer unglaublichen Intensität geführt wurde. Es sind allerdings zwei Paar Schuhe, ob man sich reinkniet und jedes Facebook-Posting liest oder man das ausblendet, was ich letztendlich getan habe. Sonst müsste ich mir jeden Tag diesen ganzen Mist vor Augen führen. So kann ich gut damit umgehen. Gibt es aber Sachen, die klagsfähig sind, sollten wir als Journalisten konsequent sein.

STANDARD: Und dagegen vorgehen?

Thurnher: Ja. Das trifft ja Journalistinnen noch viel härter als Journalisten, weil sehr schnell körperliche Sachen oder das Aussehen mitschwingen. Kollegin Corinna Milborn (Puls-4-Moderatorin, Anm.) hat einen sehr guten Job gemacht, indem sie gesagt hat, dass sie alles zur Anzeige bringt, was unter die Gürtellinie geht und klagsfähig ist. Da sollten wir alle sehr, sehr konsequent sein. Kalt lässt einen das nicht, aber ich lasse mich davon sicher nicht fertigmachen.

STANDARD: Haben Sie bereits geklagt?

Thurnher: Derzeit wird eine Anzeige geprüft. Der Grund ist ein Posting auf Facebook, das kurz vor dem Wahlsonntag mit einem erfundenen Zitat von mir erschienen ist. Bei Hasspostings ist es eine Gratwanderung, was noch unter freie Meinungsäußerung fällt. Bei den meisten kommt man nicht weit mit Klagen, aber dieses Fake-Posting geht hoffentlich den Weg aller Gerechtigkeit. Mir wurde per Photoshop ein SPÖ-Logo ans Revers geheftet und geschrieben: "Der ORF ist genauso parteiunabhängig wie Van der Bellen! Darum wähle ich Van der Bellen, weil mir ein parteiunabhängiger ORF wichtig ist." So etwas geht überhaupt nicht und ist mit der Glaubwürdigkeit einer Journalistin nicht vereinbar. Mir wäre es wichtig, hier einen Präzedenzfall zu schaffen, deswegen versuchen wir das.

STANDARD: Wurde der Urheber schon ausgeforscht, oder geht es vorerst nur gegen den Kärntner FPÖ-Politiker, der das Posting geteilt hat?

Thurnher: Ich habe nur gesehen, dass das ein FPÖ-Politiker aus Kärnten verbreitet hat. Wo das vorher herkam, ist mir eigentlich ziemlich egal. Trägt jemand zur Verbreitung bei, ist er part of the game. Für mich ist er derjenige, der zur Verantwortung zu ziehen ist.

STANDARD: Er verteidigt die Vorgehensweise, indem er sagt, dass es klar erkennbar war als Satire.

Thurnher: Das fand ich gar nicht. Und schon gar nicht zwei Tage vor der Wahl.

STANDARD: Sind die Anfeindungen in letzter Zeit – befeuert durch soziale Netzwerke – viel stärker geworden?

Thurnher: Absolut. Als sich E-Mail zu verbreiten begonnen hat, haben wir gemerkt, wie distanzlos das Publikum plötzlich wird. Vorher kamen Briefe oder Anrufe beim Kundendienst. Neun von zehn Briefen waren Bitten um ein Autogramm, einer war eine Beschimpfung. Die meisten Beschimpfungen gab es über den Kundendienst. Da haben die Leute hineingemotzt. Die Social Media haben jetzt das Asset für Leute, dass sie unter sich sind und mit anderen vereint in Einigkeit und Größe gegen Personen vorgehen können. Ich habe zum Beispiel die Facebook-App auf dem Handy gelöscht. Blendet man das nicht aus, ist man den ganzen Tag nur damit beschäftigt, Schimpf und Schande über sich selbst zu lesen. Das muss ich nicht haben.

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STANDARD: Und Twitter mit Ihren knapp 150.000 Followern?

Thurnher: Auf Twitter habe ich das Gefühl, dass es angenehmer ist. Mit manchen wird man Freund, mit anderen nicht, und mit Facebook habe ich mich nie wirklich anfreunden können.

STANDARD: Sie treten in der ORF-3-Chefredaktion die Nachfolge von Christoph Takacs an, der in Salzburg Roland Brunhofer als Landesdirektor ablöst, weil der politisch nicht mehr opportun ist. Wie sehr nervt das Politische im ORF?

Thurnher: Mich würde es nerven, wenn ich wegen einer politischen Opportunität etwas werden oder etwas nicht werden würde. Ich bin nie einer Partei nahegestanden, deswegen vertraue ich darauf, dass es bei meiner persönlichen Karriere damit nichts zu tun hat. Gerade bei den Bundesländern wissen wir, dass der Landeshauptmann bei der Bestellung der Landesdirektoren ein Anhörungsrecht hat. Das geht eigentlich nicht mehr, finde ich.

STANDARD: Solche Vorgänge sollten der Vergangenheit angehören?

Thurnher: Ja, bitte, das sind alles kleine Wirtschaftsbetriebe, die nach Management- und Qualifikationskriterien besetzt gehören und sonst nach keinem Kriterium.

STANDARD: Was haben Sie bei ORF 3 vor? Das Budget steigt ja.

Thurnher: Wir präsentieren unser Programm im März. Es gibt bereits Ideen für neue Formate, und es wird Sie wenig überraschen, dass einige davon was mit Talk zu tun haben. (Oliver Mark, 17.12.2016)