Michael Vogt & Nikolai von Michalewsky: "Mark Brandis: Bordbuch Delta VII"
Graphic Novel, gebundene Ausgabe, 64 Seiten, € 17,50, Panini 2016
Cullen Bunn, Max Dunbar & David Garcia-Cruz: "Micronauts Volume 1: Entropy"
Graphic Novel, broschiert, 152 Seiten, IDW Publishing 2016/17
Nostalgie-Doppelpack für die Kinder der 70er und 80er! Mit der Reihe "Mark Brandis" schuf Nikolai von Michalewsky das neben "Perry Rhodan" zweite große deutschsprachige SF-Franchise. Unzählige Fans werden noch heute unmittelbar in die Vergangenheit gebeamt, wenn sie Worte wie Kaltes Licht und Homo factus oder Titel wie "Unternehmen Delphin", "Pilgrim 2000", "Salomon 76" oder "Testakte Kolibri" hören. Die Romane erschienen von 1970 bis 1987, seit 2008 werden sie beim Wurdack-Verlag neu aufgelegt. Und jetzt gibt's das Ganze auch als Comic.
Zurück in die EAAU
Nur ganz kurz skizziert, falls jemand die Reihe nicht kennt: Im späten 21. Jahrhundert hat die Menschheit Teile des Sonnensystems kolonisiert, einig ist sie sich aber noch nicht geworden. Mit der EAAU (Europäisch-Amerikanisch-Afrikanische Union) und den VOR (Vereinigte Orientalische Republiken) stehen einander zwei verfeindete Machtblöcke gegenüber. Eine bittere Ironie ist, dass die Serie heute, in Zeiten der schleichenden Rückkehr des Kalten Krieges, aktueller wirkt, als es noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre. Zu dem Eindruck trägt nicht zu knapp auch der Auftritt von General Gordon B. Smith bei, der sich mit seiner Bewegung der Reinigenden Flamme in der EAAU an die Macht putscht und ein faschistisches Regime etabliert.
Doch die guten Kräfte sammeln sich, allen voran natürlich Captain (zunächst noch nicht Commander) Mark Brandis: ein Querdenker, den sein Eigensinn karrieremäßig etwas behindert hat – aber jetzt werden solche Typen mehr denn je gebraucht. Mit einer kleinen und ähnlich der "Enterprise" multinational zusammengesetzten Crew wird Brandis zum Dorn in Smiths Seite werden. Hier im ersten Band noch mit dem superschnellen Raumschiff-Prototyp "Delta VII" unterwegs, später werden andere Flitzer folgen.
Die optische Umsetzung
Comiczeichner Michael Vogt, der zum Aufwärmen vor ein paar Jahren schon mal ein Jugendabenteuer des Serienhelden ins graphische Format übertragen hatte, musste für die hiermit gestartete Reihe von Graphic Novels einige Balanceakte bewältigen. Allen voran natürlich den, dass wir uns hier in der Zukunft einer Vergangenheit befinden. Geschickt tänzelt Vogts Look an der Trennlinie von modern und retro entlang wie "Caprica". Wo es durch den seit den 70ern veränderten Wissensstand nötig wurde, hat er auch in sanfter Weise Michalewsky korrigiert. So wurde etwa die – optisch sehr ansprechend gestaltete – Venus-Kolonie in die Wolkenschichten unserer leider gar nicht attraktiven Nachbarwelt verlegt.
Klare Linien und sehr viel Blau ergänzen sich in "Bordbuch Delta VII" zu einem unterschwelligen Eindruck von Sauberkeit – passend für einen SF-Entwurf aus präzynischen Zeiten. In der Dynamik eines Weltraumflugs kann Vogt schon mal zu schrägen Panels greifen. Es überwiegen aber kleine, regelmäßige Kästchen (sauber und geordnet eben), ergänzt um das eine oder andere Panoramabild: sehr schön etwa die Doppelseite, auf der Brandis mit seinem Jetpack über dem nächtlichen Metropolis schwebt. Insgesamt eine gelungene Rückkehr: Möge die Comicserie so lange laufen wie die Romanausgabe!
P. S.: Steinigt mich, aber ich sage immer noch "Brääääändis".
Makroerfolg im Mikroversum
Komplementär zu Mark Brandis nun ein ähnlich altes Franchise, das so ungefähr überall außer dem deutschsprachigen Tal der Ahnungslosen extrem populär war. Wer in den späten 70ern und frühen 80ern Teile seiner Kindheit in Japan, den USA, Frankreich oder – am wahrscheinlichsten – im bemerkenswert roboterverliebten Italien verbracht hat, wird sich aber noch gut an die "Micronauts" erinnern können.
Die Urquelle befand sich natürlich in Japan, wo sich spätestens in den frühen 70ern die Synergie von SF-Animes und entsprechendem Spielzeug-Merchandising eingespielt hatte. In der Regel gab es erst mal das Anime (also die Geschichten) und dann die Produkte. Das änderte sich, als 1976 das US-amerikanische Unternehmen Mego auf den Plan trat und die "Microman"-Reihe des legendären japanischen Spielzeugkonzerns Takara zusammen mit einigen anderen Produkten international als "Micronauts" vermarktete.
Vom Spielzeug zu Comics
Ihre Kennzeichen: Untereinander kompatible und damit umbaubare Action-Figuren (ein bis zwei Spielzeuggenerationen vor den Transformers) und ein gewisser Science-Fantasy-Look, wie er damals gerade modern war – siehe etwa die "New Gods"-Comics ... oder natürlich auch "Star Wars". Die "Micronauts"-Figur Baron Karza beispielsweise präsentierte sich in schwarzer Cyborg-Ritterrüstung wie Darth Vader – wer hier von wem abgekupfert hat, muss aber offen bleiben: Beide erblickten im selben Jahr das Licht der Welt. Damals lag wohl grade was in der Luft; beziehungsweise im Vakuum.
Passende Geschichten, um all die fantastischen Figuren und Vehikel zu verbinden, musste sich jedes Kind erst mal selbst ausdenken. Erst 1979 strickte Marvel aus der Spielzeuglinie eine erste Comicreihe, die bis Mitte der 80er lief und einige kurzlebige Nachfolger zeugte. Die jüngste und in gelungener Weise modernisierte Fassung kommt vom Comicverlag IDW respektive einem Team aus Autor Cullen Bunn ("Uncanny X-Men", "Deadpool") und Hauptillustrator Max Dunbar ("Dungeons & Dragons" und Diverses von Marvel).
And here we are
Zum Hintergrund: Das mikronautische Universum – Microspace – wird gerade Planet für Planet von einer möglicherweise intelligenten "Entropie-Wolke" verschlungen. Der Abwehrkampf gestaltet sich aber schwierig, weil zwischen dem Wissenschafts- und dem Verteidigungsministerium der dominierenden Zivilisation ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Was uns schon zur ersten Modernisierung bringt: Kaum jemand ist hier wirklich gut oder böse (nicht einmal Karza), sondern nur Diener einer Seite.
Auch unser Heldenteam hat einen wenig hehren Hintergrund: Sie sind – "Firefly" lässt grüßen – im Grunde nur eine Schmugglerbande in Diensten eines schmierigen Geschäftsmanns, dessen Gorillas Wetten darauf abschließen, welcher Planet als nächster krachen geht. Aber sie erkennen zumindest eine gute Sache, wenn sie sie in den Hintern beißt, und verschreiben sich ihr. An ihrer Spitze der pazifistische Oz (ein Pharoid), gefolgt von der Jetflügel tragenden Phenolo-Phi (Typ Space Glider) und einem gentechnisch erzeugten namenlosen Supersoldaten aus der Acroyear-Baureihe.
.. womit schon einige klassische Produktnamen gefallen wären. Das Team wird ergänzt um den geschwätzigen Roboter Microtron und den frankensteinesken Mecha Biotron. Plus irgendeine Neuerfundene ohne Mego-Historie, weil zum Update natürlich auch ein höherer Anteil an weiblichen Figuren gehört. (Was allerdings auch nötig war, ursprünglich lag er bei null.)
Next: "Micronauts, Vol. 2: Earthbound"
Die erste Ausgabe des Reboots präsentiert sich als ausgesprochen unterhaltsamer Mix: Da wirbeln die Energieschwerter, Raketen, Raumschiffe und wie Projektile abfeuerbaren Körperteile nur so durcheinander, während am Hofe des Imperators eifrig intrigiert wird. Kombiniert wird die Action mit Witz und einem Zeitreise-Mysterium, das der Handlung einen weitergespannten Rahmen verleiht.
Das lässt sich als SF-/Superhelden-Comic auch ohne mikronautisches Vorwissen genießen. Den Hauptspaß haben aber natürlich "Micronauts"-Fans, die ihr ehemaliges Spielzeug hier mal in Aktion sehen können. Ob Red Falcon oder Membros, die Zeitreise-Sarkophage oder die Hornetroid-Flugmaschinen: vom klassischen "Microman" bis zu den obskuren, nur noch für den italienischen Markt produzierten Figuren der Spätphase – hier kehren sie alle wieder. Und wenn noch nicht in diesem Band, dann im zweiten, der im Mai erscheinen soll. Ist schon vorbestellt.