Keine hundert Stunden trennen die Welt von dem Augenblick, an dem Donald Trump ins Weiße Haus einzieht. Und immer noch weiß niemand, was seine Präsidentschaft bringen wird. Je mehr er twittert und spricht, desto weniger Klarheit gibt es.

Seine Wochenendinterviews waren voller Ansagen, die einen dramatischen Kurswechsel in der US-Politik suggerieren: Der Brexit ist großartig, die EU todgeweiht, die Nato obsolet und das Iran-Abkommen eine Katastrophe, gegen deutsche Autoimporte kommen Strafzölle. Aber dann widerspricht sich Trump – etwa bei der Nato, die er im nächsten Satz lobt. Oder er verspricht Dinge, die er allein nicht durchsetzen kann: Im Außenhandel hat der Kongress das Sagen, und dort dominieren Gegner des kruden Protektionismus. 35-Prozent-Zölle gegen BMW & Co wird es wohl nicht geben.

Für die meiste Verwirrung sorgt Trump beim Thema Gesundheit: Er will Obamacare sofort abschaffen und verspricht – anders als die Republikaner im Kongress – gleichzeitig ein fertiges Ersatzprogramm. Und dies, so heißt es plötzlich, soll eine Krankenkasse für alle sein. Das ist ein Wunschtraum der Linken, der allen konservativen Grundsätzen widerspricht.

Die einzig mögliche Schlussfolgerung: Hier spricht nicht der kommende Oberkommandierende einer Supermacht, sondern ein jovialer Stammtischgast, der nichts zurückhält, was ihm gerade durch den Kopf geht. Trump meint wirklich, was er sagt, und manches klingt für sich gesehen ganz vernünftig. Aber dass er in wenigen Tagen eine politische Linie vorgeben und Entscheidungen treffen muss, die Millionen US-Bürger und den Rest der Welt betreffen, scheint ihm nicht bewusst zu sein.

Was wird daher passieren, wenn am Freitag Barack Obama das Oval Office verlässt und Strohwitwer Trump sich einquartiert? Manche erwarten, dass sein erzkonservatives, aber teilweise recht kompetentes Kabinett die Regierungsgeschäfte führen wird – oder sein Vize Mike Pence. Aber Trump lässt sich nicht gerne übergehen, das hat er im Wahlkampf gezeigt. Und er hat unzählige Berater, darunter sein Schwiegersohn, um sich versammelt, die wohl alle mitreden wollen.

Auch vom Kongress ist wenig Führung zu erwarten. Der Trump-Wahlsieg lässt die kühnsten Träume der Tea-Party-Fraktion wahr werden. Sie wird extreme Forderungen stellen und der pragmatischeren Kongressspitze rund um Paul Ryan und Mitch McConnell das Leben noch mehr erschweren.

Es klingt paradox, aber den USA droht trotz Einparteienherrschaft die Unregierbarkeit. Denn ihr Präsident ist kein konservativer Politiker, sondern ein Reality-TV-Star, der sich an die Spitze eines zornigen Bürgeraufstands gestellt hat. Wohl könnte er das Regierungsgeschäft erlernen, aber er will es ganz offensichtlich nicht.

Für diese einmalige Konstellation gibt es kein Handlungsrezept. Aber eines ist klar: Auf jeden Trump-Tweet und -Sager zu reagieren, als wären dies programmatische Ankündigungen, bringt wenig. Noch ist es für europäische Politiker zu früh, vor Trump'schen Eskapaden zu warnen. Und auch nach dem 20. Jänner wird das Wort des Präsidenten mehr Unterhaltungs- als Informationswert haben.

Umso genauer wird man sich die konkreten Entscheidungen in Washington anschauen müssen. Vielleicht fallen die tatsächlich so schrecklich aus wie befürchtet. Oder aber sie fallen nicht, weil das Chaos regiert – eine ebenso schreckliche Aussicht. (Eric Frey, 16.1.2017)