"Es klang fast so, als ob die Saite einer Violine gerissen sei", wird sich Hans Gatt später erinnern. "Dieser metallische Ton hallte noch ewig in meinem Kopf nach, und ich konnte den Haarriss unter meinem Schlitten förmlich spüren." Dann ging alles ganz schnell. Knacken, Krachen, Eis bricht. Als Erstes versinkt der komplette Schlitten mitsamt Führer und Gepäck im Birch Creek, dann gibt das Eis auch unter den angeschirrten Huskies nach. Irgendwann stoßen die Kufen endlich auf meterdickes Eis. Glück im Unglück.

Durch Schnee und Eis jagen die Gespanne, kämpfen Tag und Nacht gegen Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Gerade weil der Yukon Quest so herausfordernd ist, zieht er Musher wie Abenteuerurlauber Jahr für Jahr magisch an.
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Das war also einer dieser tückischen Overflows. Dünn überfrorenes Strömungswasser, versteckt unter Neuschnee. Der Austroamerikaner Hans Gatt steckt bis zum Hals im Wasser. Viel Zeit bleibt dem Hundeschlittenführer nicht. Nach vier, fünf Minuten verliert selbst ein abgehärteter Dog-Musher bei einer Wassertemperatur um den Gefrierpunkt das Bewusstsein. Irgendwie kämpft sich der mehrfache Yukon Quest Champion aufs feste Eis zurück, zieht Hunde und Schlitten aus dem Loch.

Sofort stocksteif gefroren

Die Quecksilbersäule zeigt bitterkalte minus 48 Grad, die Kleidung ist sofort stocksteif gefroren, die Feuerzeuge unbrauchbar. Seine Huskies haben es da besser mit ihrem dichten Pelz. Sie schütteln sich einmal kräftig und das war's. Na ja, fast: Ihre vollgelaufenen Füßlinge muss Gatt sofort ausziehen. Das sind 56 Stück bei 14 Hunden. Dabei zieht sich Gatt Erfrierungen dritten Grades an seinen Fingern zu, wird kurze Zeit später das Rennen quittieren müssen.

Es hätte noch viel schlimmer kommen können, doch der Mittfünfziger scheint einen nordischen Schutzengel zu haben. Denn einer seiner stärksten Konkurrenten, der Deutschkanadier Sebastian Schnülle, kommt zur Unglücksstelle, macht sofort Feuer und versorgt den Österreicher mit trockener Kleidung. So eine Hilfe ist selbstverständlich in Alaska und im Yukon, auch wenn sie dem gebürtigen Wuppertaler in diesem Fall den Sieg kosten wird. Jahr für Jahr spielen sich ähnlich dramatische Szenen ab beim "härtesten Hundeschlittenrennen der Welt", wie der Yukon Quest auch genannt wird. Genau deshalb zieht er Musher wie Abenteuerurlauber magisch in seinen Bann.

Der Quest folgt der alten Post- und Handelsroute.
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Die Fans haben es indes weit bequemer. Denn sie fahren in kleinen Konvois mit allradgetriebenen SUVs zu den sogenannten Checkpoints, wenn sie sich nicht selbst gerade als Schlittenführer auf einer der Ranches versuchen. Die Feuerwache im amerikanischen Circle City, ganz in der Nähe des Birch Creek, ist so einer. Dort wärmen sich die Musher nach Tagen in subarktischer Wildnis endlich wieder auf, stärken sich mit deftigem Elchfleisch-Eintopf und heißem Tee, finden ein paar kurze Stunden Schlaf. Natürlich erst, nachdem sie ihre Hunde mit Kraftfutter und Stroh versorgt haben. Denn die vierbeinigen Gesellen sind die eigentlichen Stars des Wettbewerbs. Renntierärzte haben sich provisorisch eingerichtet zwischen Löschgerät, Spitzhacken und Feuerschutzhelmen. Von hier aus funken Journalisten aktuelle Rennergebnisse in die Welt.

Und dazwischen überall freiwillige Helfer und Aktivurlauber aus Nordamerika und Europa. In Alaska und im Yukon Territory geht so etwas noch. Die Magie des hohen Nordens vereint alle auf friedlichste Art und Weise, die Liebe zu den Huskies tut ihr Übriges.

Schnellstraße des Goldrauschs

Von weit her sind die Musher über den mächtigen Yukon-Strom in die 92-Seelen-Gemeinde Circle City gekommen. In Whitehorse, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Yukon Territory, begannen sie ihr großes Abenteuer eine Woche zuvor. Die 25 Teams folgen der alten Post- und Handelsroute aus Zeiten des großen Goldrauschs um 1900, die die Schürfgebiete des legendären Klondike im Zentralyukon via Alaska mit der Außenwelt verbanden. Fast alles lief damals über die "Schnellstraße des Goldrauschs", den Yukon River, im Sommer per Schiff, im Herbst und Frühling per Pferdeschlitten und im eisigen Winter mit dem Hundegespann.

Es war die Ära der beinharten Einzelkämpfer wie Percy de Wolfe. Der Postunternehmer sollte als "Iron Man of the North" in die amerikanische Geschichte eingehen. Über 40 Jahre lang beförderte er Briefe zwischen Eagle in Alaska und der berühmt-berüchtigten Goldgräberstadt Dawson City in Kanada. Brachte lang ersehnte Kunde von Frauen, Müttern und Kindern aus der fernen Heimat zu den entwurzelten Goldschürfern, die allesamt auf das eine große Gold-Nugget hofften, das ihnen sagenhaften Reichtum und die Rückkehr als gemachter Mann versprach. Noch immer ist Percy de Wolfe die Ikone der Hundeschlittenführer von heute.

Der Yukon River, früher auch als "Schnellstraße des Goldrausches" bekannt.
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Von Whitehorse führt ihre erste Etappe über 100 Meilen oder 161 Kilometer zum ersten Checkpoint nach Braeburn über den großen Strom und den Trans Canada Trail. Hier schon sortiert sich das Feld. Vorn die Aspiranten auf den begehrten Titel, hinten diejenigen mit dem eher olympischen Gedanken, bei denen nur die Teilnahme zählt. "Wenn du vorne läufst, bist du der Hase, den die Meute hetzt", weiß Raubein Hugh Neff, Quest-Gewinner von 2012 und 2016 und Zweitplatzierter 2013 und 2014, zu berichten. "Ich bin getrieben vom Heulen der Huskies in tiefer Nacht."

Anders als bei europäischen Rennen können die Schaulustigen das Geschehen nur von bestimmten Punkten aus verfolgen, nämlich immer dort, wo eine befahrbare Straße die Rennstrecke kreuzt. Da es aber kaum Autopisten gibt im hohen Norden, passiert dies eher selten. In diesem Abschnitt genau einmal an der Takhini River Bridge, von der aus sie die Musher und Huskies lautstark anfeuern.

Verloren im Nirgendwo

So treffen sich die Touristen an solchen neuralgischen Punkten immer wieder, fachsimpeln und tauschen Informationen aus, wo es denn eigentlich die nächste offene Tankstelle gäbe oder vielleicht einen beheizten Schlafplatz in einer Schule.

Durch Nacht und Eis jagen die Gespanne Dawson City entgegen, kämpfen gegen Berge, Kälte, Einsamkeit und totale Erschöpfung an. Irrungen und Wirrungen sind an der Tagesordnung. Manche Musher kommen vom Weg ab und verlieren sich im Nirgendwo. Einige schlafen selbst im Stehen bei voller Fahrt durch die klirrend kalte Nacht oder halluzinieren gar. Die flackernden Polarlichter tun ihr übriges. "Manchmal sehe ich Geister über den Bergen tanzen, weiß nicht so recht, ob ich grad träume oder noch wach bin", schildert der Biologe und zweifache Champion Allen Moore, 58, seine selbstgewählte Odyssee.

Zur Halbzeit des Rennens werden die Huskies von Tierärzten untersucht und versorgt.
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In Dawson City ist Halbzeit und die Rennteilnehmer müssen eine 36-stündige Pause einlegen. Zeit der Regeneration für Mensch und Tier. Zeit für die Veterinäre, die American und Sibirian Huskies genauer unter die Lupe zu nehmen und kleine Blessuren zu behandeln. Zeit seine Liebsten in den Arm zu nehmen oder für einen Plausch mit den Fans in den Saloons der alten Goldgräberstadt.

Mit seinem Roman "Ruf der Wildnis" verschaffte ihr Jack London, der Poet des hohen Nordens, einen festen Platz in der Weltliteratur. Am 22. November 2016 jährte sich sein Todestag zum 100. Mal und Dawson City bereitet sich gerade auf die kommenden Feierlichkeiten vor. Noch heute kann man den Geist des Schriftstellers und Abenteurers in den Straßen der 1.700-Seelen-Gemeinde spüren, die einst von 100.000 Goldgräbern unsicher gemacht wurde. In diesen Tagen ganz besonders.

Unerträgliche Kälte

Nur gut die Hälfte der Gespanne wird es am Ende über die kanadisch-amerikanische Staatsgrenze und von dort über Circle City bis nach Fairbanks schaffen. Kurz vor Torschluss hat der Eagle Summit in den White Mountains schon so manchen Traum vom nahen Sieg zunichtegemacht. Zumindest bei jedem zweiten Quest, denn die Richtung des Rennens alterniert von Jahr zu Jahr. Hier scheiterte selbst Haudegen Hugh Neff schon einmal, als über der vegetationslosen Kuppe ein Eissturm fegte und die gefühlte Temperatur auf unerträgliche minus 80 Grad fiel.

Im vergangenen Februar konnte den 48-Jährigen allerdings nichts und niemand aufhalten, nicht einmal sein härtester Konkurrent Allen Moore. Hugh Neff fuhr 2016 nach genau neun Tagen, einer Stunde und 25 Minuten seinen zweiten Sieg ein. Manchmal sind es eben die gehetzten Hasen, die am Ende das Rennen machen. (Marc Vorsatz, RONDO, 23.1.2017)