Brigit Gerstorfer versteht den Politikfrust der Wähler und kündigt daher "das Ende der Selbstbeschäftigung" in der SPÖ Oberösterreich an.

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STANDARD: In der Koalition knirscht es gewaltig. SPÖ und ÖVP ringen wieder einmal um den Fortbestand der Regierung. Wie fällt ihr Befund aus?

Gerstorfer: In der letzten Sitzung des SPÖ-Bundespräsidiums und des Bundesparteivorstandes gab es die klare Positionierung, dass man die Koalition nicht gefährden will. Und diese Position verändert sich nicht durch diverse Berichte der Medien, die natürlich jetzt wieder das Thema hypen. Da wird jetzt wieder einmal die große Krise hineininterpretiert.

STANDARD: Sie wollen mir aber jetzt nicht die Koalition als harmonischen Paarlauf verkaufen, oder?

Gerstorfer: Nein. Harmonie ist nicht das Regierungsziel. Eine Koalition ist keine Liebesheirat, wir wollen als SPÖ etwas durchbringen. Und wir sind zuletzt deutlich über unseren Schatten gesprungen, etwa bei Themen wie etwa Arbeitszeitflexibilisierung. Was fehlt, ist die adäquate Resonanz der ÖVP. Jetzt wird halt verhandelt. Aber die Journalisten sehen ja gleich die ganze Regierungszusammenarbeit gefährdet.

STANDARD: Abgesehen von den "bösen" Medien – war es Ihrer Meinung nach klug von Bundeskanzler Christian Kern, der ÖVP die Rute ins Fenster zu stellen und hinsichtlich eines überarbeiteten Regierungsprogramms ein Ultimatum zu setzen?

Gerstorfer: Natürlich. Man kann ja nicht ewig dahinwurschteln. Und zu sagen, die ÖVP stehe jetzt mit dem Rücken zur Wand, ist lächerlich. Die ÖVP sollte ganz einfach jetzt in konstruktive Gespräche einsteigen. Themenstellungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, müssen gemeinsam bearbeitet werden. Und wir reden hier nicht von absoluten Tabuthemen. Da sind Bereiche dabei, die immer im Forderungskatalog der ÖVP waren. Daher muss man sich die Frage stellen: Was ist jetzt der Grund für den schwarzen Widerstand?

STANDARD: Aber wird es nicht schwierig, wenn man dem Partner gleich zu Beginn der Gespräche ausrichtet, es müsse an diesem Tag ein Ergebnis auf dem Tisch liegen, weil sonst sei ohnehin alles zu spät?

Gerstorfer: Es ist halt eine bestimmte Form der Ungeduld vorhanden. Und wir haben einen neuen Polit-Stil: Kanzler Kern war lange Manager – er ist es gewöhnt, dass in absehbarer Zeit was weitergeht.

STANDARD: Könnte sich die SPÖ jetzt Neuwahlen leisten?

Gerstorfer: Was heißt leisten? Finanziell? Emotional?

STANDARD: Vor allem wird man wohl als Sieger vom Platz gehen wollen.

Gerstorfer: Mit dem "Plan A" hat die SPÖ Themen vorgegeben, die über ein Detailthema der siebten Unterüberschrift hinausgehen. Wir haben ein Zukunftspaket für Österreich präsentiert. Und die ÖVP verliert sich in Randdebatten wie dem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst.

STANDARD: Wann würde es mit der ÖVP nicht mehr gehen?

Gerstorfer: Das ist schwierig zu sagen. Ein Scheidungsgrund kann manchmal eine Summe von Kleinigkeiten sein, es kann eine einzelne Grenzüberschreitung sein.

STANDARD: Wo liegt die Grenze für die SPÖ?

Gerstorfer: Das kann ich nicht vorhersagen. Auch nicht, ob diese Grenze jemals erreicht wird.

STANDARD: Verstehen Sie eigentlich den Politikfrust bei vielen Wählern?

Gerstorfer: Ja, durchaus. Meine Zeit vor der Politik ist noch nicht so lange zurück. Und als Nichtpolitikerin haben mir ja die Menschen auf eine andere Art ihre Positionen und Meinungen über die Politik vermittelt. Letztlich gibt es zwei Kritikpunkte: Wie reden die Parteien miteinander und dann dieses ewige Im-Hamsterrad-Neustarten.

STANDARD: Wurde aber nicht gerade der "Plan A" als roter Neustart präsentiert?

Gerstorfer: Okay, ja. Aber es ist ein sehr ernst gemeinter Neustart.

STANDARD: Bei Ihrer Antrittsrede haben Sie vollmundig angekündigt, "rote Herzen freischaufeln" zu wollen und die "rote Lufthoheit" zurückerobern zu wollen. Halten diese Ziele ein halbes Jahr später noch? Oder sind Sie als Chefin einer 18-Prozent-Partei mit kaum politischem Profil im harten roten Alltag angekommen?

Gerstorfer: Ich stehe zu meinen Worten. Aber ich bin auch Realistin und weiß, dass der Weg zurück ein durchaus steiniger ist. Aber die Richtung ist klar: Ich will mich nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen. Die Zeit der Selbstbeschäftigung ist in der SPÖ Oberösterreich vorbei. (Markus Rohrhofer, 27.1.2017)